In seiner Hand
eine gute Turnerin. Ich hob die Füße vom Boden und streckte sie nach hinten, bis sie knapp meine Stirn berührten. Nun war der Druck von meinen Handgelenken genommen. Ich unternahm einen vorsichtigen Versuch, die Hände über meine Beine zu schieben. Unmöglich. Ich schob und schob. Nein.
Ächzend gab ich auf. Doch dann sagte ich mir, dass er bald zurückkommen und mich töten würde. Nie mehr würde ich eine Chance wie diese bekommen. Es musste gehen. Ich hatte ja schon gesehen, wie die Kinder es beim Spielen machten. Wahrscheinlich hatte ich es als kleines Mädchen auch gemacht. Ich würde mir sogar die Hände abhacken, um aus diesen Fesseln herauszukommen. Doch das brauchte ich gar nicht. Ich musste meine Hände bloß vor meinen Körper holen. Ich musste mich nur anstrengen.
Und ich schob mit aller Kraft. Obwohl ich das Gefühl hatte, mir die Arme von den Schultern zu reißen, schob ich immer weiter, bis sich meine Hände hinter meinen Oberschenkeln befanden. Wären meine Fußgelenke nicht ebenfalls gefesselt gewesen, wäre es einfacher gewesen.
Nun lag ich da wie ein verschnürtes Schwein, bereit, einen Bolzen in den Kopf gejagt zu bekommen. Ich zwang mich, an dieses Bild zu denken, während ich die Knie an die Brust presste und so weit in Richtung Kinn zurückzog, wie ich nur konnte, um auf diese Weise die Hände über meine Füße zu streifen. Die Muskeln an Rücken, Hals, Armen und Schultern schienen vor Schmerz aufzuschreien, aber plötzlich lagen meine Arme vor meinem Körper.
Keuchend hielt ich inne und spürte erst jetzt, dass mir der Schweiß in Strömen herunterlief.
Ich setzte mich auf und zog mir mit meinen zusammengebundenen Händen die Kapuze vom Kopf.
Dabei kam mir der Gedanke, dass er möglicherweise die ganze Zeit im Raum saß und mir zusah. Ich nahm den Knebel aus meinem Mund und saugte die Luft ein, als wäre sie kaltes Wasser. Es war dunkel. Nein, nicht völlig dunkel. Von irgendwoher fiel ganz schwaches Licht in den Raum. Ich betrachtete meine Handgelenke. Sie waren mit einem Draht zusammengebunden. Er war nicht verknotet, die Enden waren lediglich umeinander geschlungen. Mit den Zähnen ließ sich der Draht ziemlich leicht lösen, wenn es auch Zeit in Anspruch nahm. Zehn schreckliche Sekunden für jede Drahtwindung. Meine Lippen bluteten bereits. Nachdem ich die letzte Windung gelöst hatte, fiel der Draht einfach zu Boden, und meine Hände waren frei.
Kurz danach hatte ich auch meine Füße von ihren Fesseln befreit. Ich rappelte mich hoch, fiel aber mit einem Schmerzensschrei sofort wieder zu Boden. Meine Füße fühlten sich aufgequollen an, als würden sie jeden Moment platzen. Ich rieb meine Knöchel, bis ich wieder stehen konnte.
Ich blickte mich um. Obwohl es im Raum fast dunkel war, konnte ich Ziegelwände und den schmutzigen Zementboden erkennen. An einer Seite waren ein paar robuste Borde angebracht, auf dem Boden stapelten sich kaputte Paletten. Ich konnte den Mauervorsprung sehen, auf dem ich die letzten Tage verbracht hatte. Dann fiel es mir wieder ein. Ich befreite meinen Kopf von der Drahtschlinge. Ein Ende war an einem Haken befestigt, den ich mit meinem Körpergewicht aus der Wand gerissen hatte. Wie viel Glück hatte ich da gehabt? Vorsichtig befühlte ich meinen Hals.
Ich sah in die Richtung, aus der der Mann immer gekommen war. Dort befand sich eine geschlossene Holztür, deren Griff an der Innenseite fehlte. Ich versuchte sie mit den Fingern aufzuziehen, fand aber keinen Halt.
Ich musste mir etwas einfallen lassen. Auf der anderen Seite des Raums entdeckte ich einen dunklen Durchgang.
Ich ging hinüber und spähte in die Finsternis, konnte jedoch nichts erkennen. Die Vorstellung, dort hineinzugehen, erschien mir schrecklich. Der einzige Weg, von dem ich sicher wusste, dass er nach draußen mündete, führte durch die geschlossene Holztür. Vielleicht war es überhaupt der einzige Weg nach draußen. Was hatte es für einen Sinn, mich von diesem potenziellen Fluchtweg zu entfernen?
Mir war heiß und kalt zugleich. Keuchend rang ich nach Luft. Mein Herzschlag hallte in den Ohren wider, doch ich versuchte, mich zusammenzureißen und nachzudenken.
Was konnte ich tun? Mich irgendwo in der Dunkelheit verstecken? Vielleicht würde er in der Annahme, ich wäre entkommen, hinausrennen und dabei die Tür offen lassen.
Aber das erschien mir eher unwahrscheinlich. Aller Voraussicht nach würde er das Licht anschalten und mich sofort wieder schnappen. Oder ich suchte
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