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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ihm nicht entwischen, wenn er mich von meinem Mauervorsprung hob. Ich würde ihn auch nicht dazu überreden können, mich freizulassen. Die Polizei würde nicht plötzlich hereinstürmen und mich retten.
    Ebensowenig Terry. Niemand würde kommen. Ich würde nicht eines Morgens aufwachen und feststellen, dass alles nur ein Alptraum gewesen war. Ich würde sterben.
    Endlich gestand ich mir das ein. Wenn ich noch länger wartete, würde er mich umbringen. Mir blieb nicht die geringste Hoffnung. Meine jämmerlichen Versuche, dem Unabwendbaren zu trotzen, glichen dem Anrennen gegen eine unverrückbare Wand. Wenn ich mich jedoch von diesem Mauervorsprung warf, würde die Drahtschlinge meine Kehle durchtrennen. Das hatte er mir gesagt, und wenn ich mich vorbeugte, spürte ich den Draht um meinen Hals. Er war wohl davon ausgegangen, dass ich es nicht versuchen würde. Kein Mensch, der einigermaßen bei klarem Verstand war, würde sich umbringen, um nicht umgebracht zu werden.
    Doch genau das würde ich tun. Mich hinunterwerfen.
    Weil es das Einzige war, was ich noch tun konnte. Meine letzte Chance, Abbie zu sein.
    Mir blieb nicht mehr viel Zeit. Ich musste es tun, bevor er zurückkam. Solange ich den Willen dazu besaß.
    Ich atmete ein und hielt die Luft an. Warum nicht jetzt, bevor ich den Mut verlor? Ich atmete aus. Weil es unmöglich ist, deswegen. Man denkt: eine Sekunde noch, eine weitere Sekunde Leben. Eine Minute noch. Nicht jetzt. Jederzeit, aber nicht jetzt.
    Wenn man springt, heißt das: kein Atmen mehr und kein Denken, kein Schlaf und kein Wissen, dass man wieder aufwachen wird, keine Angst mehr, aber auch keine Hoffnung. Deswegen schiebt man es vor sich her, so, wie man sich beim Hinaufsteigen auf einen Sprungturm die ganze Zeit einredet, dass man es kann, bis man dann die oberste Stufe erreicht, die wackelige Plattform entlanggeht, einen Blick auf das türkisfarbene Wasser wirft und feststellt, dass es schrecklich weit entfernt ist.
    Plötzlich weiß man, dass man es doch nicht kann. Dass es einfach nicht geht. Weil es unmöglich ist.
    Aber dann tut man es. Widerstrebend. Während man sich in Gedanken umdreht und beeilt, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, stößt man sich ab und fällt.
    Kein Warten mehr. Kein Entsetzen. Gar nichts mehr.
    Vielleicht war es besser so. Wenn ich schon sterben musste, dann zu meinen eigenen Bedingungen.
    Ich tue das, wovon ich weiß, dass ich es nicht kann. Ich springe. Ich falle.

    Ein stechender Schmerz um meinen Hals. Farbige Blitze auf meiner Netzhaut. Ein kleiner Winkel meines Gehirns sah interessiert zu und sagte sich: So ist es also, wenn man stirbt. Das letzte Ringen nach Luft, die letzten Pumpversuche des Herzens, ehe man verlöscht.
    Die Lichter verloschen tatsächlich, doch der Schmerz wurde heftiger und deutlich lokalisierbar. Mein Hals. Ein Kratzer an der Wange. Ein Bein fühlte sich an, als wäre es nach hinten verrenkt. Mein Gesicht, meine Brüste und mein Bauch waren so hart auf den Boden geprallt, dass mir schien, ich hätte die Wand mit mir heruntergerissen, und sie laste nun mit ihrem ganzen Gewicht auf mir.
    Doch ich war nicht tot. Ich lebte.
    Dann durchbohrte mich wie ein spitzer Stahlschaft ein Gedanke: Ich war nicht mehr festgebunden. Er war nicht da. Wie lang war er schon weg? Denk nach, Abbie. Denk nach! Diesmal hatte ich nicht gezählt. Ziemlich lang.
    Meine Handgelenke waren noch immer hinter meinem Rücken gefesselt. Ich versuchte, sie zu befreien. Sinnlos.
    Fast hätte ich aufgeschluchzt. Hatte ich mich hinuntergestürzt, nur um jetzt hilflos auf dem Boden zu liegen? Ich schwor mir, dass ich mich, falls mir gar nichts anderes übrig blieb, umbringen würde, indem ich mir auf dem Steinboden den Kopf einschlug. Wenn schon nichts anderes in meiner Macht lag, dann konnte ich ihm wenigstens seinen letzten Triumph über mich verweigern.
    Mein ganzer Körper fühlte sich wund an, mager und schwach. Ich spürte eine neue Angst in mir. Ich hatte mich im wahrsten Sinne des Wortes dem Tod in die Arme geworfen. Es war eine Art Betäubungsmittel gewesen.
    Jetzt hatte ich eine neue Chance. Dieses Wissen brachte Gefühle in meinen Körper zurück. Ich war wieder in der Lage, große Angst zu empfinden.
    Ich schwang mich herum. Nun lag ich rücklings auf meinen gefesselten Armen. Wenn ich sie bloß über meine Füße schieben könnte, damit sie vor meinem Körper wären! Es stellte sich als eine schwierige Turnübung heraus, und ich war alles andere als

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