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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Welt kann sich zum Teufel scheren.«
    »Ja.«

    »Dieses Gefühl hatte ich schon oft, aber es hält meist nicht lange an. Manchmal bloß ein paar Tage oder bis man das erste Mal Sex hatte. Danach geht es zurück, und man muss sehen, was einem noch bleibt. Oftmals nicht besonders viel. Wie bei einem Feuer, von dem nur Asche übrig bleibt. Man denkt sich: Wozu eigentlich dieser ganze Wirbel? Manchmal liegt einem der betreffende Mensch weiterhin am Herzen, man mag und begehrt ihn immer noch. Aber ist das dann Liebe? Am heftigsten verliebt war ich während meiner Studienzeit. Wie sehr ich diesen Jungen vergöttert habe! Aber das war auch nicht von Dauer.«
    »Hat er Sie verlassen?«
    »Ja. Ich habe wochenlang geheult. Ich dachte, ich würde nie darüber hinwegkommen.«
    »Und Terry? Ist die Beziehung mit ihm stärker als Ihre früheren?«
    »Zumindest länger, was vielleicht auch schon etwas aussagt, auf eine gewisse Bindung hinweist. Oder auch nur auf Ausdauer.« Ich stieß ein Lachen aus, das gar nicht wie mein normales Lachen klang. »Ich meine, ich habe das Gefühl, ihn inzwischen wirklich gut zu kennen. Ich kenne ihn auf eine Weise, wie ich kaum einen anderen Menschen kenne. All die intimen kleinen Dinge, die er vor anderen Menschen verbirgt … Und je besser ich ihn kenne, desto mehr Grund hätte ich eigentlich, ihn zu verlassen, aber desto schwerer fällt es mir. Ergibt das Sinn?«
    »Es klingt ein bisschen so, als hätten Sie das Gefühl, in der Falle zu sitzen.«
    »Viele Menschen haben zeitweise das Gefühl, in der Falle zu sitzen, was ihre Beziehungen betrifft, meinen Sie nicht?«
    »Sie haben also sowohl in der Arbeit als auch zu Hause das Gefühl, in der Falle zu sitzen?«
    »Ganz so dramatisch würde ich es nicht formulieren. Ich habe allerdings zugelassen, dass sich ein bestimmter Trott in mein Leben eingeschlichen hat.«
    »Aus dem Sie schon seit längerem ausbrechen wollen?«
    »Man rutscht ganz langsam in so etwas hinein. Erst wenn es sich zu einer richtigen Krise ausgewachsen hat, merkt man plötzlich, wo man steht.«
    »Das heißt also …?«
    »Dass ich in einer Krise stecke.«

    Als Irene am nächsten Tag in mein Zimmer trat … Mein Zimmer. Ich ertappte mich immer öfter bei diesem Gedanken. Als wollte ich den Rest meines Lebens dort verbringen. Als wäre ich nicht mehr in der Lage, mit der Welt draußen klarzukommen – einer Welt, in der ich wieder gezwungen wäre, Dinge für mich zu kaufen und Entscheidungen zu treffen.
    Sie wirkte so ruhig wie immer. Lächelnd fragte sie mich, wie ich denn geschlafen hätte. In der richtigen Welt fragten einen die Leute auch manchmal, wie es einem gehe, wollten es aber gar nicht wirklich wissen, sondern erwarteten die Antwort »gut«. Es kam höchst selten vor, dass jemand fragte, wie man geschlafen habe, ob man auch genug esse und wie man sich fühle, und es auch tatsächlich wissen wollte. Irene Beddoes wollte es wissen.
    Sie sah mich mit ihren intelligenten Augen an und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Also behauptete ich, gut geschlafen zu haben, obwohl es gar nicht stimmte. Das war ein weiterer Punkt, der mich am Krankenhaus störte.
    Natürlich hatte ich mein eigenes Zimmer, aber solange dieses Zimmer nicht auf einer Insel mitten im Pazifik lag, wurde man trotzdem um halb drei Uhr morgens von einer schreienden Frau geweckt. Jemand eilte herbei und kümmerte sich um sie, ich aber starrte die verbleibende Nacht in die Dunkelheit und dachte an Sterben und Tod, an den Keller und die Stimme in meinem Ohr.
    »Gut, danke«, sagte ich noch einmal.
    »Ihre Akte ist eingetroffen«, bemerkte sie.
    »Welche Akte?«
    »Die mit Ihrer Krankengeschichte. Die ich bei Ihrem Hausarzt angefordert habe.«
    »Ach so«, sagte ich. »Das hatte ich schon wieder völlig vergessen. Ich nehme an, sie enthält eine Menge schlimme Dinge, die vor Gericht sämtlich gegen mich verwendet werden können.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »War nur ein Scherz. Nun werden Sie gleich sagen, dass es so etwas wie ›nur ein Scherz‹ nicht gibt.«
    »Sie haben mir nicht gesagt, dass Sie wegen schwerer Depressionen behandelt worden sind.«
    »Wie bitte?«
    Sie warf einen Blick in ihr Notizbuch.
    »Im November 1995 wurde Ihnen ein Antidepressivum verschrieben.«
    »Daran kann ich mich nicht erinnern.«
    »Versuchen Sie es.«
    Ich überlegte einen Moment. 1995. Da hatte ich studiert.
    Mein Zusammenbruch.
    »Das muss die Zeit gewesen sein, als Jules sich von mir trennte. Ich habe Ihnen gestern

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