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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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zog die Schranktüren auf. Soweit ich sehen konnte, waren alle Sachen von Terry noch da, einige Kleiderbügel auf meiner Seite jedoch leer. Es fehlten mehrere Kleider, mein schwarzer Mantel, meine Lederjacke. Ebenso die meisten von meinen Schuhen –
    nur noch zwei Paar Sandalen und ein Paar abgewetzte Turnschuhe standen auf dem Schrankboden. Der Großteil meiner Bürogarderobe schien allerdings noch da zu sein.
    Verwirrt sah ich mich um. Mein Blick blieb an einem Müllsack hängen, der am Fußende unseres Bettes lehnte, zum Platzen vollgestopft mit einem Teil meiner fehlenden Sachen.
    »Terry«, sagte ich laut. »Du Mistkerl!«
    Ich ging ins Bad. Die Klobrille war hochgeklappt. Mit einem lauten Knall ließ ich sie nach unten sausen. Keine Tampons, kein Make-up, keine Feuchtigkeitscreme, kein Parfüm, kein Deo. Ich war einfach weggeräumt worden.
    Sogar meine Zahnbürste war verschwunden. Ich öffnete den Spiegelschrank. Die Hausapotheke war noch da. Ich schraubte die Flasche mit den Kopfschmerztabletten auf und schüttete zwei auf meine Handfläche. Ich schluckte sie ohne Wasser. Mein Kopf dröhnte.
    Das war nur ein Traum, dachte ich. Ein Alptraum, in dem ich aus meinem eigenen Leben ausradiert wurde.
    Bestimmt würde ich bald aufwachen. Doch genau hier lag das Problem – wo hatte der Alptraum begonnen, und an welcher Stelle würde ich erwachen? In meinem alten Leben? War möglicherweise gar nichts passiert und alles nur eine Fieberphantasie von mir gewesen? Oder würde ich mich erneut auf dem Mauervorsprung wiederfinden und mit einem Knebel im Mund auf meinen Tod warten, während sich mein Geist langsam verdunkelte? Oder aber im Krankenhaus, immer noch der Überzeugung, dass mich die Ärzte heilen und die Polizisten vor Schaden bewahren würden?
    Ich kehrte in die Küche zurück und setzte den Kessel auf. Während ich wartete, bis das Wasser kochte, stöberte ich im Kühlschank, denn mir war plötzlich schwindelig vor Hunger. Er war fast leer, abgesehen von mehreren Flaschen Bier und drei oder vier übereinander gestapelten Fertigmahlzeiten. Ich machte mir ein Sandwich aus Weißbrot, das genauso plastikartig aussah wie das im Krankenhaus. Dick mit Marmite bestrichen, ein Salatblatt dazwischen, fertig. Dann hängte ich einen Teebeutel in eine Tasse und goss das inzwischen kochende Wasser darüber.
    Beim ersten Bissen – ich stand noch immer neben dem Kühlschrank, ein Streifen Salat klebte an meiner Unterlippe – kam mir plötzlich ein Gedanke. Wo war meine Tasche mit meiner Börse, meinem Geld, meinen Kreditkarten und meinen Schlüsseln? Ich hob sämtliche Kissen hoch, schaute unter die Mäntel an der Garderobe, zog alle Schubladen heraus. Ich suchte an den unwahrscheinlichsten Orten und dann noch einmal überall dort, wo ich bereits nachgesehen hatte.
    Offenbar hatte ich die Tasche bei mir, als ich entführt worden war. Das bedeutete, dass er meine Adresse kannte und meine Schlüssel hatte, während ich gar nichts mehr besaß. Nichts. Ich hatte keinen einzigen Penny. Ich war so wütend und beschämt gewesen, als Dr.
    Beddoes
    gekommen war, um mit mir über die »Therapie« zu sprechen, mit der sie mir helfen wollte, mein Leben
    »wieder in den Griff zu bekommen«, dass ich unverständliche Laute gebrüllt und dann verkündet hatte, falls sie wolle, dass ich mir ein weiteres Wort von ihr oder sonst jemandem aus dem Krankenhaus anhörte, müsse sie mich vorher festbinden und mit Beruhigungsmitteln vollpumpen. Dann war ich in die Sachen geschlüpft, in denen man mich gefunden hatte, und aus dem Krankenhaus marschiert, krampfhaft bemüht, nicht die Kontrolle über meine wackeligen Knie zu verlieren oder in Tränen auszubrechen. Ich hatte alles ausgeschlagen, was mir angeboten worden war – ein Taxi, Geld, genauere Erklärungen, ein Gespräch mit einem Psychiater, sonstige Hilfe. Ich brauchte keine Hilfe. Ich wollte nur, dass sie ihn endlich schnappten und mir mein Gefühl von Sicherheit zurückgaben. Und ich wollte Dr.
    Beddoes in ihr
    selbstgefälliges Gesicht schlagen. Das sagte ich ihr allerdings nicht. Es wäre sinnlos gewesen. So viele meiner Worte hatten sich in hinterhältige, zuschnappende Fallen verwandelt. Alles, was ich zur Polizei, zu den Ärzten und zu dieser gottverdammten Irene Beddoes gesagt hatte, war gegen mich verwendet worden. Das Geld hätte ich jedoch annehmen sollen.
    Plötzlich hatte ich keinen Appetit mehr auf mein Sandwich. Ich warf es in den Mülleimer, der aussah, als wäre er nicht

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