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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Reaktion der Polizei sprechen, die Art, wie all diese Emotionen gegen mich verwendet wurden –
    und dieser Jemand musste felsenfest an mich glauben.
    Wenn dem nicht so war, dann … ich leerte mein Glas und schenkte nach. Wenn nicht Sadie, wer dann? Sie war meine beste, meine älteste Freundin. Ich war diejenige gewesen, an die sie sich gewandt hatte, nachdem Bob sie im achten Monat hatte sitzen lassen. Wenn Sadie mir nicht glaubte, wer dann? Ich holte tief Luft.
    Und erzählte ihr alles. Von dem Mauervorsprung, der Kapuze, dem Kübel, dem pfeifenden Lachen in der Dunkelheit. Meiner Gewissheit, sterben zu müssen. Sie hörte mir zu, ohne mich zu unterbrechen, wenngleich sie hin und wieder kleine Laute des Erstaunens ausstieß. Ich erzählte ihr alles, ohne zu weinen. Ich hatte angenommen, irgendwann in Tränen auszubrechen, woraufhin sie mich dann in den Arm nehmen und mir übers Haar streichen würde, wie sie es bei Pippa getan hatte. Aber meine Augen blieben trocken, und ich erzählte meine Geschichte ruhig und leidenschaftslos.
    »Ich bin doch nicht verrückt, oder?«, endete ich.
    »Sie haben dir nicht geglaubt?! Weshalb denn nicht?
    Diese Stümper!«
    »Sie waren der Meinung, ich hätte mich in einem sehr angeschlagenen Zustand befunden und nur phantasiert.«
    »Wer könnte so etwas erfinden? Warum um Himmels willen solltest du?«
    »Ich weiß es nicht. Um meiner Situation zu entfliehen.
    Um Aufmerksamkeit zu bekommen. Keine Ahnung.«
    »Aber warum ? Warum haben sie dir nicht geglaubt?«, hakte sie nach.
    »Weil es keine Beweise gibt«, antwortete ich trocken.
    »Gar keine?«
    »Nein. Keine Spur.«
    »Oh.« Ein paar Sekunden schwiegen wir beide. »Was um alles in der Welt wirst du jetzt tun?«
    »Das weiß ich auch nicht. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll, Sadie. Ich weiß nicht, wohin ich gehen oder an wen ich mich wenden soll. Ich weiß nicht einmal, wer ich eigentlich sein soll, wenn ich morgen früh aufstehe. Es ist, als müsste ich wieder bei Null anfangen.
    Aus dem Nichts. Ich kann dir gar nicht sagen, was das für ein seltsames Gefühl ist. Unbeschreiblich. Als würde jemand ein Experiment mit mir durchführen, mit dem Ziel, mich in den Wahnsinn zu treiben.«
    »Du musst wirklich wütend auf die Polizei sein.«
    »Ja, allerdings.«
    »Und bestimmt hast du auch Angst.«
    »Stimmt.« Obwohl es im Raum warm war, fröstelte ich plötzlich.
    »Denn«, fuhr Sadie fort, »denn wenn das, was du sagst, wirklich stimmt, dann ist er noch irgendwo da draußen.
    Vielleicht ist er immer noch hinter dir her.«
    »Ja,« sagte ich. »Genau.« Doch wir hatten beide gehört, wie sie es gesagt hatte. Wenn. Wenn das, was ich gesagt hatte, wahr war. Wenn ich die ganze Sache nicht erfunden hatte. Als ich sie ansah, senkte sie den Blick und begann wieder mit ihrer Babystimme auf Pippa einzureden, obwohl die Kleine inzwischen eingeschlafen war. Ihr Kopf war wie bei einem Betrunkenen nach hinten gesunken, ihr kleiner Mund stand halb offen, und an der Oberlippe hatte sie noch eine Milchblase.
    »Was möchtest du zum Abendessen?«, fragte Sadie. »Du musst ja am Verhungern sein.«
    Ich hatte nicht vor, das Thema einfach so fallen zu lassen.
    »Du weißt nicht, ob du mir glauben sollst, stimmt’s?«
    »Nun sei nicht albern, Abbie. Natürlich glaube ich dir.
    Natürlich. Hundertprozentig.«
    »Danke.« Aber ich wusste – und sie wusste, dass ich es wusste –, dass sie keineswegs hundertprozentig sicher war. Der Zweifel war gesät, würde wachsen und gedeihen.
    Wer konnte ihr das verdenken? Meine hysterische Schauergeschichte gegen die maßvolle, gesunde Normalität der anderen. An ihrer Stelle hätte ich ebenfalls meine Zweifel gehabt.
    Während Sadie Pippa ins Bett brachte, machte ich uns etwas zu essen. Speck-Sandwiches, mit dicken Weißbrotscheiben, die ich kurz in die fettige Pfanne drückte, ehe ich sie mit Speck belegte. Es schmeckte deftig und salzig, und dazu gab es für jede von uns eine große Tasse Tee. Dass ich jetzt hier bei Sadie war, hätte mir eigentlich das Gefühl geben müssen, allem, was passiert war und womöglich wieder passieren konnte, für eine Weile entflohen zu sein. Aber ich schlief in dieser Nacht auf ihrem Sofa sehr unruhig, schreckte immer wieder schweißgebadet und mit wild pochendem Herzen aus Träumen hoch, in denen ich ununterbrochen rannte, stolperte, fiel. Pippa wachte ebenfalls oft auf, was sie mit zornigem Geschrei kundtat. Die Wände der Wohnung waren so dünn, dass es mir vorkam,

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