In seiner Hand
als lägen wir im selben Zimmer. Am Morgen würde ich die beiden wieder verlassen. Ich konnte unmöglich eine weitere Nacht hier verbringen.
»Das hast du letztes Mal auch gesagt«, bemerkte Sadie lachend, als ich sie um sechs Uhr morgens über meinen Entschluss informierte. Sie machte einen erstaunlich frischen Eindruck. Unter ihrer Mähne aus weichem braunen Haar wirkte ihr Gesicht geradezu rosig.
»Ich weiß nicht, wie du das schaffst. Ich brauche mindestens acht Stunden Schlaf, noch besser zehn, am Sonntag zwölf. Ich gehe zu Sheila und Guy, die beiden haben genug Platz. Nur bis ich mir darüber im Klaren bin, wie es weitergehen soll.«
»Das hast du letztes Mal auch gesagt.«
»Dann muss es eine gute Idee sein.«
Es war noch nicht richtig hell, als ich mich auf den Weg zu Sheila und Guy machte. Über Nacht hatte es geschneit, und in dem weichen Morgenlicht sah alles gespenstisch schön aus, sogar die Mülltonnen. Ich ging zu Fuß, machte aber bei einem Bäcker Halt und kaufte als Bestechung drei Croissants, so dass mir noch genau fünf Pfund zwanzig blieben. Heute würde ich bei meiner Bank anrufen. Wie lautete gleich noch meine Kontonummer? In einem Anfall von Panik befürchtete ich, dass sie mir nicht mehr einfallen würde und viele Mosaiksteinchen meines Lebens gerade im Verschwinden begriffen waren, als wäre in meinem Gehirn ein Cursor am Werk, der willkürlich Informationen löschte.
Es war knapp sieben Uhr, als ich an ihre Tür klopfte. Die Vorhänge im ersten Stock waren zugezogen. Ich wartete, wie es der Anstand gebot, und klopfte erneut, länger und lauter. Dann trat ich einen Schritt zurück und blickte nach oben. Ein Vorhang bewegte sich. Ein Gesicht und nackte Schultern tauchten am Fenster auf.
Sheila, Sadie und ich kennen uns schon länger als unser halbes Leben. In der Schule waren wir ein streitlustiges Trio, das sich ständig trennte und wieder vereinte, doch unsere Teenagerjahre haben wir gemeinsam durchgestanden: Prüfungen, die erste Menstruation, die erste Liebe. Nun hatte Sadie ein Baby, Sheila einen Mann und ich … nun ja, ich schien im Moment nicht viel zu haben, außer einer Geschichte. Ich winkte zum Fenster hinauf. Bei meinem Anblick wich Sheilas eben noch missmutige, mürrische Miene einem Ausdruck der Verblüffung und Besorgnis. Sie verschwand und tauchte wenige Augenblicke später unten an der Haustür wieder auf, in einen flauschigen weißen Bademantel gehüllt, das verschlafene Gesicht von wirren dunklen Haarsträhnen umrahmt. Ich drückte ihr die Tüte mit den Croissants in die Hand.
»Entschuldige«, sagte ich. »Aber es war noch zu früh, um vorher anzurufen. Darf ich reinkommen?«
»Du siehst wie ein Gespenst aus!«, rief sie. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
Diesmal erzählte ich eine Kurzversion meiner Geschichte, nur das Wichtigste. In Bezug auf die Polizei, blieb ich vage. Sheila und Guy waren sichtlich verwirrt, aber dennoch sehr hilfsbereit. Sie machten mir sofort einen Kaffee und boten mir überschwänglich an, über alles zu verfügen: ihr Bad, ihr Geld, ihren Kleiderschrank, ihr Telefon, ihr Auto und ihr Gästezimmer, und das, so lange ich wollte.
»Wir werden natürlich die meiste Zeit im Büro sein«, fügte Sheila hinzu. »Fühl dich einfach wie zu Hause.«
»Habe ich meine Sachen bei euch gelassen?«
»Hier? Nein. Es sei denn, die eine oder andere Kleinigkeit schwirrt noch irgendwo herum.«
»Wie lange bin ich überhaupt geblieben? Nur eine Nacht?«
»Nein. Oder doch, eigentlich schon.«
»Was meinst du mit eigentlich?«
»Du hast am Sonntag hier geschlafen, bist aber am Montag nicht wiedergekommen. Du hast angerufen, dass du anderswo übernachten würdest. Am Dienstag hast du deine Sachen abgeholt. Du hast uns einen Zettel mit einer Nachricht hinterlassen und zwei sehr teure Flaschen Wein.«
»Wohin wollte ich denn?«
Sie antworteten, das wüssten sie nicht. Ich sei ziemlich aufgedreht gewesen und hätte sie am Sonntag bis in die frühen Morgenstunden wach gehalten. Ich hätte ziemlich viel geredet und getrunken und Pläne für den Rest meines Lebens geschmiedet. Am nächsten Tag hätte ich sie dann wieder verlassen. Während sie mir das erzählten, warfen sie sich vielsagende Blicke zu, so dass ich mich zu fragen begann, was sie mir wohl verschwiegen. Hatte ich mich daneben benommen? Mich übergeben müssen? Kurz bevor sie aufbrachen, ertappte ich sie dabei, wie sie in der Küche die Köpfe zusammensteckten und aufgeregt
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