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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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lange.«
    »Natürlich. Es wundert mich bloß, dass du das willst. Du weißt ja, ich habe nur das alte Sofa, bei dem die Federung längst hinüber ist, und Pippa wacht nachts ständig auf.«
    »Das macht nichts.«
    »Das hast du letztes Mal auch gesagt, bis es dann so weit war.«
    »Letztes Mal?«
    »Ja.« Sie musterte mich mit einem seltsamen Blick.
    »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
    »Was?«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern«, wiederholte ich.
    Ich hatte plötzlich das Gefühl, vor Müdigkeit vornüber zu kippen.
    »Hör zu, mach es dir gemütlich«, sagte Sadie. »Ich bin gleich wieder da. Fünf Minuten, Maximum.«
    Ich entkorkte den Wein und schenkte zwei Gläser voll.
    Nachdem ich einen Schluck genommen hatte, wurde mir sofort schummrig. Ich brauchte unbedingt etwas zu essen.
    Ich stöberte in Sadies Schränken und stieß auf eine Tüte Chips, von denen ich mir einen Teil im Stehen in den Mund stopfte, nahm einen weiteren vorsichtigen Schluck von dem Wein und ließ mich wieder auf dem Sofa nieder.
    In meinem Kopf pochte es, meine Augen brannten vor Müdigkeit, und der Schnitt an meiner Seite kribbelte.
    Dabei war es hier im Souterrain so wundervoll warm und gemütlich. Über den Heizkörpern hingen Babysachen, und auf dem Tisch stand eine große Vase mit dunkelorangeroten Chrysanthemen, die wie Flammen aussahen.
    »Alles in Ordnung?« Sadie war wieder da. Sie nahm neben mir auf dem Sofa Platz und knöpfte ihre Bluse auf.
    Nachdem sie Pippa an ihre Brust gelegt hatte, lehnte sie sich mit einem Seufzer zurück. »Jetzt schieß los. Es war dieser verdammte Terry, nicht wahr? Dein armes Gesicht, es ist immer noch ganz blau. Du hättest nicht zu ihm zurückgehen sollen. Ich dachte, du wärst in Urlaub gefahren.«
    »Urlaub?«, wiederholte ich.
    »Du hast gesagt, du wolltest eine Reise buchen.«
    »Ich war nicht im Urlaub.«
    »Was hat er denn diesmal gemacht?«
    »Wer?«
    »Terry.« Sie sah mich fragend an. »Geht es dir nicht gut?«
    »Wieso glaubst du, dass es Terry war?«
    »Das liegt doch auf der Hand. Nach allem, was beim letzten Mal passiert ist. Oh, Abbie!«
    »Wie meinst du das, beim letzten Mal?«
    »Als er dich geschlagen hat.«
    »Dann hat er mich also doch geschlagen.«
    »Ja, und zwar ziemlich heftig. Abbie? Du musst dich doch daran erinnern.«
    »Erzähl es mir trotzdem.«
    Sie starrte mich verwirrt an, als würde sie sich fragen, ob ich sie irgendwie veräppelte.
    »Du bist heute aber seltsam. Jedenfalls habt ihr euch gestritten. Er hat dich geschlagen, du hast mit ihm Schluss gemacht und bist hergekommen. Du hast sehr entschlossen gewirkt. Fast ein bisschen euphorisch. Offenbar bist du aber trotzdem zu ihm zurück.«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.
    Er war es nicht.«
    »Ich verstehe nicht recht.« Einen Moment starrte sie mich stirnrunzelnd an, dann wandte sie sich wieder Pippa zu.
    »Ich habe einen Schlag auf den Kopf bekommen«, erklärte ich. »Deswegen kann ich mich an einige Dinge nicht mehr erinnern. Ich kann mich weder daran erinnern, dass ich Terry verlassen habe, noch, dass ich hierhergekommen bin.«
    Sadie stieß einen Pfiff aus. Ich konnte nicht beurteilen, ob aus Schock oder Ungläubigkeit. »Du meinst, du hattest eine Gehirnerschütterung?«
    »Etwas in der Art.«
    »Dann kannst du dich wirklich nicht erinnern?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    »Du weißt nicht mehr, dass du Terry verlassen hast?«

    »Nein.«
    »Auch nicht, dass du zu mir gekommen bist?«
    »Nein.«
    »Und dass du hier nicht lang geblieben bist?«
    »Ich bin nicht geblieben? Tja, sieht ganz danach aus –
    sonst wären ein paar meiner Sachen hier, nicht wahr? Wo wollte ich denn hin?«
    »Du kannst dich wirklich nicht erinnern?«
    »Nein.« Allmählich verlor ich die Geduld.
    »Du bist zu Sheila und Guy.«
    »Das war dann wohl am Sonntag?«
    »Wahrscheinlich. Ja, ich glaube, du hast Recht. Für mich ist zur Zeit jeder Tag wie der andere.«
    »Du hast mich seitdem nicht mehr gesehen? Bis jetzt, meine ich.«
    »Nein. Ich dachte, du wärst weggefahren.«
    »Verstehe.«
    »Erzähl mir, was passiert ist, Abbie. Die ganze Geschichte.«
    Die ganze Geschichte. Ich nahm einen Schluck Wein und betrachtete Sadie, die ihrem Baby gerade Koseworte ins Ohr flüsterte. Ich musste mir dringend Luft machen, endlich jemandem von alledem erzählen, dem Entsetzen in der Dunkelheit, der Scham, der schrecklichen, endgültigen Einsamkeit, dem Gefühl, tot zu sein. Ich musste mit jemandem über die

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