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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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miteinander tuschelten. Als sie mich in der Tür stehen sahen, brachen sie abrupt ab, lächelten mich an und taten so, als hätten sie nur Pläne für den Abend gemacht.
    Die beiden also auch, dachte ich, und wandte den Blick ab, als hätte ich nichts bemerkt. Das würde noch öfter vorkommen, vor allem, wenn Sheila und Guy erst einmal mit Sadie gesprochen hatten, und anschließend mit Robin, Carla, Joey und Sam. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie sich gegenseitig anrufen würden. Hast du schon gehört? Ist das nicht schrecklich? Wie denkst du darüber, ich meine, wirklich, ganz unter uns?
    Freundschaften haben viel mit Takt zu tun. Oft will man gar nicht wissen, was Freunde gegenüber anderen Freunden oder ihrem Partner ausplaudern. Man will gar nicht wissen, was sie wirklich denken oder wie weit ihre Loyalität geht. Man sollte sehr vorsichtig damit umgehen.
    Vermutlich erfährt man dann nämlich Dinge, die einem gar nicht gefallen.

    4
    Mir war nichts mehr peinlich. Ich besaß noch rund fünf Pfund, so dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als Sheila und Guy um Geld anzupumpen. Sie waren sehr entgegenkommend. Natürlich war ihr »Entgegenkommen«
    mit Schnauben und Keuchen und Zähneknirschen verbunden. Beide wühlten in ihren Taschen und Börsen und erklärten, dass sie später zur Bank gehen könnten. Am liebsten hätte ich gesagt, es sei nicht so wichtig, und ich käme auch ohne Geld klar, aber es war nun einmal wichtig, und ich war auf ihre Hilfe angewiesen. Deshalb landeten zweiundfünfzig Pfund in diversen Scheinen und Münzen in meinen aufgehaltenen Händen. Dann lieh ich mir von Sheila einen Slip und ein T-Shirt aus und warf meine getragenen Sachen in ihren Wäschekorb. Sie fragte mich, ob sie mir sonst irgendwie helfen könne, woraufhin ich sie fragte, ob sie einen alten Pulli besitze, den ich für ein, zwei Tage haben könnte. Sie antwortete, natürlich, und kam mit einem recht hübschen wieder, der überhaupt nicht alt aussah. Sheilas Kleidung war mir einige Nummern zu groß, doch nachdem ich die Ärmel hochgeschoben hatte, sah ich nicht mehr ganz so lächerlich aus. Dennoch hatte sie ihre Gesichtszüge nicht völlig unter Kontrolle.
    »Entschuldige«, sagte sie. »Du siehst großartig aus, aber
    …«
    »Als würde ich neuerdings unter der Brücke leben?«, fiel ich ihr ins Wort.
    »Nein, nein«, widersprach sie vehement. »Ich bin es nur gewohnt, dass du, ich weiß auch nicht, erwachsener aussiehst.«

    Als sie aufbrachen, kam es mir fast so vor, als hätten sie bei der Vorstellung, mich allein in ihrem Haus zurückzulassen, ein leicht mulmiges Gefühl. Ich weiß nicht, ob sie befürchteten, ich würde ihre Hausbar oder den Kühlschrank plündern oder von ihrem Telefon aus lange Auslandsgespräche führen. Ich erleichterte lediglich das Arzneischränkchen um ein paar Kopfschmerztabletten und tätigte vier Anrufe, alles Ortsgespräche. Als Erstes bestellte ich mir ein Taxi, weil ich auf keinen Fall allein durch die Straßen laufen wollte. Dann rief ich Robin im Büro an. Sie sagte, sie könne sich mittags leider nicht mit mir treffen. Als ich ihr zur Antwort gab, sie müsse, erklärte sie mir, dass sie bereits mit jemand anderem zum Essen verabredet sei. Ich entgegnete, das tue mir Leid, aber sie müsse ihre Verabredung absagen. Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie seufzend zu.
    Ich forderte alle Gefallen ein, die ich meinen Freunden im Laufe meines Lebens getan hatte. Ich rief Carla an und nötigte sie, sich nachmittags auf einen Kaffee mit mir zu treffen. Anschließend rief ich Sam an und verabredete mich mit ihm ebenfalls für einen Kaffee, fünfundvierzig Minuten nach meinem Termin mit Robin. Er fragte nicht nach dem Grund, ebensowenig wie Carla. Das beunruhigte mich ein wenig. Bestimmt wussten sie schon etwas. Was hatte Sadie erzählt? Ich kannte das Gefühl. Auch ich war schon wegen irgendeiner unglaublich heißen Tratschgeschichte in einen Fieberzustand verfallen, der sich wie ein Typhusvirus verbreitet hatte. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Hey, alle mal herhören, habt ihr schon gehört, was Abbie passiert ist? Oder war es noch einfacher? Hey, alle mal herhören, Abbie ist verrückt geworden! Ach, und übrigens, sie wird bald bei euch hereinschneien, um euer gesamtes Kleingeld einzusammeln.

    Ich spähte aus dem Fenster, bis ich das Taxi kommen sah, und griff nach meiner Tasche. Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass ich gar keine Tasche hatte. Alles, was

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