In seiner Hand
ich besaß, hatte ich in meine Hosentaschen gestopft – eine kleine Geldsumme von Sadie und eine größere von Sheila und Guy. Ich bat den Taxifahrer, mich zur U-Bahn-Station Kennington zu fahren, was ihn nicht gerade in einen Freudentaumel versetzte. Verwirrt starrte er mich an. Es war wahrscheinlich das erste Mal in seiner Laufbahn, dass er einen Fahrgast zu einer U-Bahn-Station bringen musste, die nur wenige Straßen entfernt lag. Das Unterfangen kostete mich drei Pfund fünfzig. Ich nahm den Zug nach Euston, wechselte dort die Bahnsteigseite und stieg in die Victoria Line um. Am Oxford Circus stieg ich aus und begab mich zum Bahnsteig der Bakerloo Line. Über die Gleise hinweg studierte ich die Streckenkarte. Ja, dieser Zug führte an Ziele, die ausreichend weit von allen mir bekannten Orten entfernt lagen. Ein Zug kam im Bahnhof an, und ich stieg ein. Als sich die Türen zu schließen begannen, sprang ich flink wieder heraus. Der Zug setzte sich in Bewegung, und ich war für ein, zwei Sekunden allein, bis die nächsten Pendler auf dem Bahnsteig eintrafen. Jeder, der mir zugeschaut hätte, hätte mich bestimmt für eine Verrückte gehalten. Dabei hätte ich eigentlich wissen müssen, dass mir niemand folgte. Es konnte mir niemand folgen. Doch nun war ich mir sicher und fühlte mich besser. Etwas besser zumindest. Ich schlenderte zur Central Line hinüber und entschied mich für den Zug nach Tottenham Court Road.
Dort suchte ich eine Zweigstelle meiner Bank auf. Ich empfand eine große Müdigkeit, als ich mich durch die Tür schob. Die einfachen Dinge des Lebens waren so schwierig geworden. Kleidung. Geld. Ich kam mir vor wie Robinson Crusoe. Am unangenehmsten war es, dass ich fast jedem Menschen, auf den ich traf, eine Version meiner Geschichte erzählen musste. Der Frau am Schalter schilderte ich eine sehr knappe Version, woraufhin sie mich an eine »persönliche Finanzberaterin« verwies, eine korpulente Frau in einem türkisfarbenen Blazer mit Messingknöpfen, die in einer Ecke des Raums an ihrem Schreibtisch saß. Ich musste warten, bis sie für einen Mann, der offenbar kein Englisch sprach, ein Konto eröffnet hatte. Als er gegangen war, wandte sie sich mit einem Ausdruck der Erleichterung an mich. Sie wusste nicht, was ihr bevorstand. Ich erklärte ihr, dass ich Geld von meinem Konto abheben wolle, aber Opfer eines Verbrechens geworden sei und daher weder im Besitz meines Scheckbuchs noch meiner Kreditkarten sei. Kein Problem, meinte sie. Jede Form von Ausweis mit Foto sei absolut ausreichend.
Ich holte tief Luft, bevor ich ihr eröffnete, dass ich gegenwärtig über keinerlei Art von Ausweis verfügte, ihr überhaupt nichts vorlegen könne. Sie starrte mich verwirrt an. Fast schien es, als hätte sie ein wenig Angst vor mir.
»Dann tut es mir Leid …«, begann sie.
»Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, an mein Geld heranzukommen«, unterbrach ich sie. »Außerdem muss ich meine alten Karten sperren lassen und neue beantragen. Ich unterschreibe alles, was Sie wollen, gebe Ihnen jede Information, die Sie brauchen.«
Sie starrte mich noch immer skeptisch an. Mehr als das, beinahe wie hypnotisiert. Plötzlich fiel mir Cross ein. Von allen Menschen, die mich zurück in die Welt entlassen hatten, schien mir Cross derjenige zu sein, der darüber am wenigsten glücklich gewesen war. Er hatte irgendetwas davon gemurmelt, dass er tun werde, was in seiner Macht stehe, falls ich Hilfe brauchte.
»Es gibt da einen Polizeibeamten«, erklärte ich. »Er war mit dem Fall betraut. Sie können ihn anrufen und meine Angaben überprüfen.«
Ich schrieb ihr die Nummer auf, hatte aber sofort Bedenken. Wenn Cross sich zu kooperativ zeigte, stand ich möglicherweise noch schlimmer da als vorher.
Stirnrunzelnd betrachtete sie die Zahl und verkündete, sie müsse vorher mit dem stellvertretenden Filialleiter sprechen. Er entpuppte sich als ein schon leicht kahlköpfiger Mann, der einen ausgesprochen gediegenen Anzug trug und ebenfalls eine sorgenvolle Miene aufsetzte. Ich glaube, sie wären erleichtert gewesen, wenn ich mich aufgeregt hätte und wütend aus der Bank gestürmt wäre, aber ich ließ nicht locker. Sie mussten mich wieder in mein altes Leben zurücklassen.
Die Zeit verging. Zunächst tätigten sie ein paar Anrufe, dann stellten sie mir unzählige Fragen über mein Leben, mein Konto, Rechnungen, die ich in der letzten Zeit bezahlt hatte. Sie fragten mich sogar nach dem Mädchennamen meiner Mutter. Ich
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