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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Summe.«
    »Ja, allerdings, hundertdreißig Pfund.«
    »Wie bitte?«
    »Hundertdreißig Pfund«, wiederholte er.
    »So viel Geld habe ich nicht bei mir.«
    »Wir nehmen auch Schecks.«
    »Ich habe kein Scheckbuch.«
    »Kreditkarten.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Oje, oje!«, sagte er, klang dabei aber nicht besonders betroffen.
    »Was soll ich jetzt tun?«
    »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
    »Kann ich mit dem Wagen zu einer Freundin fahren, dort das Geld holen und wieder zurückkommen?«
    »Nein.«
    Mir blieb nichts anderes übrig, als wieder zu gehen. Ich schleppte mich zurück nach Bow, wo ich mich in ein kleines Kaffee setzte und eine weitere Tasse bitteren, lauwarmen Kaffee trank. Dann suchte ich nach einer Telefonzelle, rief Sam an und bat ihn, flehte ihn regelrecht an, mir per Kurier sechzig – nein, besser gleich achtzig oder sogar neunzig Pfund – zu dem Parkplatz zu schicken.

    Ich würde dort warten, bis das Geld eintraf. »Bitte, bitte, bitte«, sagte ich. »Es tut mir wirklich Leid, aber dies ist ein Notfall.« Ich wusste von dem Kurierdienst, weil Sam einmal, nachdem wir in einem Nachtklub gewesen waren und er dort seine Jacke vergessen hatte, einen Kurier geschickt hatte, weil es für ihn ein unzumutbarer Zeitaufwand gewesen wäre, die Jacke persönlich abzuholen. »Das geht auf Geschäftskosten«, hatte er gemeint.
    Endlich bekam ich meinen Wagen zurück. Kurz nach halb eins überreichte ich dem Mann das gewünschte Geld und erhielt im Gegenzug einen Ausdruck, auf dem stand, von wo der Wagen abgeschleppt worden war und wie sich die Kosten zusammensetzten. Dann zeigte er mir, wo mein Wagen stand und öffnete das Doppeltor für mich. Nun besaß ich noch neunzehn Pfund. Ich stieg ein. Der Wagen sprang sofort an. Ich drehte die Heizung auf, rieb meine Hände, die vor Kälte schon ganz steif waren, und sah mich im Wagen um. Neben mir auf dem Beifahrersitz lag ein Erste-Hilfe-Kasten. Aus dem Kassettenrekorder ragte eine Kassette. Ich schob sie hinein, aber die Musik, die einsetzte, kam mir nicht bekannt vor. Es war etwas Jazziges, Unbeschwertes. Ich drehte sie lauter und fuhr durch das Tor. Draußen hielt ich sofort wieder an, um mir die offizielle Quittung, die ich bekommen hatte, etwas genauer anzusehen. Der Wagen war am 28. Januar aus der Tilbury Road 103, E1, abgeschleppt worden. Am achtundzwanzigsten Januar – meinem letzten Tag im Krankenhaus. Das lag bestimmt hier in der Nähe.
    Im Handschuhfach befand sich eine Straßenkarte. Die Tilbury Road lag in einem Teil von London, der mir fremd war, und entpuppte sich als lange, triste Straße mit verlassenen Häusern, schwach beleuchteten Zeitungsläden und kleinen, rund um die Uhr geöffneten Lebensmittelgeschäften, die Grapefruits, Okra und verbeulte Dosen mit Tomaten verkauften. Ich parkte vor Nummer 103 und blieb dort ein paar Minuten stehen, ohne auszusteigen. Den Kopf aufs Lenkrad gelegt, versuchte ich mich zu erinnern. Nichts geschah, kein noch so kleines Licht begann in der Dunkelheit zu glimmen. Als ich die Straßenkarte ins Handschuhfach zurückschob, hörte ich Papier rascheln. Wie sich herausstellte, hatte ich drei Rechnungen hineingeschoben, eine Benzinrechnung über sechsundzwanzig Pfund, datiert vom Montag, dem vierzehnten Januar, eine Devisenrechnung für italienische Lire im Wert von hundertfünfzig Pfund, ausgestellt am Dienstag, dem fünfzehnten Januar, und schließlich ein Kassenbon eines indischen Restaurants mit dem Datum desselben Tages: sechzehn Pfund und achtzig Cent für zwei Portionen Pilau-Reis, einmal Gemüse-Biryani, einmal Riesengarnelen-Tikka, einmal Spinat, einmal Aubergine, eine Portion Knoblauch-Naan. Zu liefern in die Maynard Street 11, London NW1. Den Straßennamen hatte ich noch nie gehört und ebenso wenig fiel mir ein, wann ich das letzte Mal in dieser Ecke von Nord-London gewesen war.
    Als ich die Rechnungen wieder ins Handschuhfach stopfte, fiel etwas zu Boden. Ich beugte mich hinab, fand eine Sonnenbrille und ein kurzes, zusammengebundenes Stück Schnur mit einem Schlüssel daran. Mein Schlüssel war es nicht. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
    Inzwischen zeigte die Uhr kurz vor vier. Ich ließ den Wagen wieder an und fuhr durch die langgezogenen Außenbezirke Londons Richtung Zentrum zurück. Es begann bereits zu dämmern. In dem düsteren Licht wirkte alles viel beängstigender. Ich fühlte mich schrecklich müde, hatte vor meiner Rückkehr zu Sheila und Guy aber noch einiges zu

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