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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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erledigen.

    7
    »Du weißt, was du brauchst, oder?«
    »Nein, Laurence, was brauche ich denn?«
    »Eine Ruhepause.«
    Laurence wusste nicht, was ich brauchte. Ich war gerade bei Jay & Joiner und starrte auf die Stelle, wo sonst immer mein Schreibtisch gestanden hatte. Das Seltsame an der Sache war, dass das Büro genau so aussah wie immer. Es ist kein besonders aufwändiges Büro, was eigentlich grotesk ist für eine Firma, die Büroeinrichtungen entwirft.
    Das einzig wirklich Gute ist die Lage – in einer Seitenstraße mitten in Soho, nur wenige Minuten Fußmarsch von den Feinkostgeschäften und dem Markt entfernt. Wenn ich sage, dass das Büro so aussah wie immer, dann meine ich damit, dass sich nichts verändert hatte, abgesehen von der Tatsache, dass sämtliche Spuren von mir verschwunden waren. Ich hätte es ja noch verstanden, wenn einfach jemand anderer an meinem Schreibtisch gesessen hätte, aber dem war nicht so.
    Vielmehr schien der Rest des Büros auf sehr subtile Weise verrutscht worden zu sein, so dass der Platz, den ich eingenommen hatte, einfach nicht mehr da war.
    Carol begleitete mich. Es war eine seltsame Erfahrung, durch mein eigenes Büro geführt zu werden. Von den anderen wurde ich nicht wie sonst mit einem Nicken oder einer netten Bemerkung begrüßt. Stattdessen erntete ich überraschte Blicke, einige mussten zweimal hinsehen, ehe sie mich erkannten, und eine neue Mitarbeiterin starrte mich neugierig an, bis Andy sich zu ihr hinüberbeugte und ihr etwas zuflüsterte, woraufhin sie mich noch neugieriger anstarrte. Carol entschuldigte sich atemlos wegen meiner nicht mehr vorhandenen Sachen. Sie erklärte mir, es sei ständig jemand darüber gefallen, so dass man schließlich alles in Schachteln verpackt und ins Lager geräumt habe, wo auch immer das sein mochte. Meine Post werde geöffnet und entweder bürointern an die zuständigen Personen weitergeleitet oder an Terrys Adresse geschickt.
    Das hätte ich ja alles selbst so geregelt, nicht wahr? Vor meinem Weggang. Ich nickte vage.
    »Geht es dir gut?«, fragte sie.
    Das war eine große Frage. Ich wusste nicht, ob sie sich nur auf mein Aussehen bezog. Carol war sichtlich zusammengezuckt, als ich das Büro betreten hatte, sozusagen in Zivil. Sehr zivil. Ganz zu schweigen von meinem Haar. Außerdem hatte ich über zehn Kilo abgenommen, seit sie mich zuletzt gesehen hatte, und mein Gesicht war von den Blutergüssen immer noch leicht gelb.
    »Ich habe eine ziemlich schwere Zeit hinter mir«, antwortete ich.
    »Ja«, sagte Carol, wich meinem Blick jedoch aus.
    »War die Polizei hier? Haben sie sich nach mir erkundigt?«
    »Ja.« Nun riskierte sie doch einen vorsichtigen Blick.
    »Wir haben uns deinetwegen Sorgen gemacht.«
    »Was wollten sie wissen?«
    »Was du hier bei uns im Einzelnen gemacht hast. Und warum du aufgehört hast.«
    »Was habt ihr gesagt?«
    »Mich haben sie nicht gefragt. Sie haben mit Laurence gesprochen.«
    »Und wie lautet deine Meinung?«
    »Wie meinst du das?«

    »Was meine Auszeit betrifft.«
    Ich sagte ihr nicht, dass ich selbst keine Ahnung hatte, warum ich mich dazu entschlossen hatte, mich nicht einmal an die Tatsache erinnern konnte, dass ich mich dazu entschlossen hatte. Hoffentlich würde es mir wenigstens dieses eine Mal erspart bleiben, meine ganze Geschichte zu erzählen. Ich hatte das Gefühl, es nicht ertragen zu können, auch in Carols Gesicht wieder diese Anzeichen wachsenden Zweifels zu entdecken. Sollte sie Mitleid mit mir haben? Sollte sie mir glauben? Sie sah mich nachdenklich an.
    »Ich nehme an, du hattest Recht«, meinte sie schließlich.
    »Du konntest nicht ewig so weitermachen. Du hast dich komplett verausgabt.«
    »Dann bist du also der Meinung, ich habe das Richtige getan?«
    »Ich beneide dich um deine sechs Monate unbezahlten Urlaub. Ich finde das sehr mutig.«
    Ein weiterer Schock. Sechs Monate! Außerdem war mir nicht entgangen, wie sie das Wort »mutig« gebraucht hatte: als beschönigenden Ausdruck für »dumm«.
    »Aber ihr freut euch alle schon auf meine Rückkehr?«
    Diese Bemerkung war eigentlich scherzhaft gemeint.
    Carol starrte mich erschrocken an. Allmählich begann ich mir wirklich Sorgen zu machen. Was zum Teufel hatte ich angestellt?
    »Am Ende sind wohl alle ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen«, sagte sie. »Und es sind Dinge gesagt worden, die besser ungesagt geblieben wären.«
    »Ich hatte immer schon eine große Klappe«, meinte ich, obwohl ich viel lieber gefragt

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