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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Irrealität schob ich den Schlüssel so sanft wie möglich ins Schloss. Die Tür ließ sich tatsächlich öffnen.
    Es hätte sich kaum seltsamer anfühlen können, wenn ich durch die Wand gegangen wäre. Vorsichtig spähte ich hinein. Ich sah unlackiertes Kiefernholz und einige Fotos, die an die Dielenwand gepinnt waren, Fotos, die mir nicht bekannt vorkamen. Satte Farben. Als ich die Tür weiter aufschob, bemerkte ich, dass ein Stapel Post dagegen drückte. Ich trat in die Diele und hob einen Brief auf.
    Josephine Hooper. Nie gehört. Sie war offenbar nicht da.
    Ich zog die Tür hinter mir zu. Ja, so muffig roch es nur in einer Wohnung, in der sich schon länger niemand mehr aufgehalten hatte. Irgendwo war etwas sauer geworden.
    Ich konnte mich weder an das Haus noch an die Straße erinnern, kannte auch die Gegend so gut wie gar nicht.
    Trotzdem hatte der Wohnungsschlüssel in meinem Auto gelegen, so dass ich eigentlich nicht hätte überrascht sein dürfen, als ich ins Wohnzimmer trat, das Licht anschaltete und neben Josephine Hoopers Bildern, ihrem Tisch, Teppich und Sofa meine Stereoanlage, meinen Fernseher sowie meine CDs entdeckte. Ich hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Mit wackeligen Knien ließ ich mich in einen Sessel sinken. Meinen Sessel.

    8
    Ich wanderte im Wohnzimmer umher, fand überall Spuren von mir selbst. Zunächst sah ich sie mir lediglich an, berührte sie höchstens mit einem Finger, als könnten sie sich auflösen und wieder verschwinden. Mein kleiner Fernsehapparat auf dem Boden. Meine Stereoanlage und meine CDs. Mein Laptop auf dem Couchtisch. Ich klappte den Deckel auf und schaltete ihn an, woraufhin er mit einem lauten Piepen zum Leben erwachte. Meine grüne Glasvase auf dem Tisch, mit drei vertrockneten gelben Rosen, deren dürre Blütenblätter um den Fuß der Vase verstreut lagen. Meine Lederjacke auf dem Sofa, als wäre ich nur gerade losgelaufen, um Milch zu holen. Und im Rahmen des Spiegels über dem Kamin ein Foto von mir.
    Zwei, um genau zu sein: Passfotos, auf denen ich ein Lächeln zu unterdrücken versuchte. Ich sah darauf sehr glücklich aus. Trotzdem war dies die Wohnung eines anderen Menschen, voll fremder Möbel – von meinem Sessel mal abgesehen – und Bücher, die ich nie gelesen hatte, ja nicht einmal vom Titel kannte, mit Ausnahme des Kochbuchs, das neben dem Kochfeld auf der Arbeitsfläche lag. Der ganze fremde Krimskrams in dieser Wohnung gehörte einem anderen Menschen. In einem der Regalfächer entdeckte ich ein gerahmtes Foto. Ich griff danach und betrachtete es: eine junge Frau mit lockigen, vom Winde verwehten Haaren, die Hände tief in die Taschen ihrer Steppjacke vergraben, ein breites Lachen im Gesicht. Hinter ihr erstreckte sich ein Hügelpanorama. Es war ein hübsches, fröhliches Foto, aber das Gesicht hatte ich noch nie zuvor gesehen. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern. Ich sammelte die Post auf, die auf dem Boden lag, und sah sie durch. Alle Briefe waren an Jo Hooper oder Josephine Hooper oder Ms. J. Hooper adressiert. Ich stapelte sie auf den Esstisch. Sie konnte sie später selbst aufmachen. Allerdings fragte ich mich angesichts der vertrockneten Blumen auf dem Tisch und der Postmenge, die sich auf dem Boden angesammelt hatte, wann sie wohl das letzte Mal hier gewesen war.
    Ich setzte mich an meinen Laptop, öffnete die E-Mail-Datei, klickte auf »Eingänge« und wartete, während auf dem Bildschirm eine kleine Uhr aufleuchtete. Dann ertönte ein melodischer Klang, und mir wurde mitgeteilt, dass ich zweiunddreißig neue Nachrichten bekommen hatte. Rasch ging ich sie durch. Lauter Nachrichten von mir unbekannten Organisationen, die mich auf Dinge aufmerksam machten, von denen ich nichts wissen wollte.
    Unentschlossen blickte ich mich in dem stillen Raum um. Ich zögerte noch einen Moment, dann steuerte ich durch die Diele auf die erste von drei Türen zu. Ich schob sie auf und betrat ein Schlafzimmer. Die Vorhänge waren zurückgeschoben, die Heizung in Betrieb. Ich schaltete das Licht an. Das Doppelbett war gemacht. Am Fußende lagen drei Samtkissen, auf dem Kopfkissen ein rot karierter Schlafanzug. An einem Haken an der Tür hing ein lavendelfarbener Bademantel, und auf dem Boden stand ein Paar mokassinartige Hausschuhe. Auf der Kommode saß ein alter, fast kahler Teddy neben einer Flasche Parfüm, einem kleinen Töpfchen Lippenbalsam, einem silbernen Medaillon samt einem weiteren Foto –
    einer Nahaufnahme eines stoppelbärtigen

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