In seiner Hand
Verwirrtheit umgeben war.
10
Mit einem Ruck wachte ich auf und wusste zunächst nicht, wo ich war. Der Raum war dunkel und völlig still, es war kein Geräusch zu hören. Ich lag im Bett und wartete darauf, dass mein Gedächtnis zurückkehren würde. Ich wartete darauf, etwas zu hören, ein Geräusch in der Schwärze. Mein Herz hämmerte wie wild, mein Mund fühlte sich trocken an. Dann hörte ich ein leises Schlurfen draußen vor meinem Fenster. Vielleicht hatte mich das aufgeweckt. Aber wer war dort? Ich wandte den Kopf und warf einen Blick auf meinen Radiowecker, der neben mir auf dem Nachttisch stand. Es war zehn vor fünf und sehr kalt.
Wieder hörte ich dieses schlurfende, kratzende Geräusch. Ich konnte mich nicht bewegen, drückte den Kopf fest gegen das Kissen. Es bereitete mir Schwierigkeiten, richtig zu atmen, und in meinem Kopf pochte es erbarmungslos. Ich musste an die Kapuze und den Knebel denken, schob den Gedanken jedoch gleich wieder weg. Ich zwang mich aufzustehen und zum Fenster hinüberzugehen. Ich öffnete die Vorhänge einen Spalt und spähte zwischen den Eisblumen, die sich auf dem Glas gebildet hatten, nach draußen. Der frisch gefallene Schnee machte alles ein wenig heller, und im Licht der Straßenlaterne konnte ich unter mir etwas Dunkles erkennen. Eine fette getigerte Katze strich um den Strauch neben der Haustür, ließ ihren dicken Schwanz über die toten Blätter gleiten. Fast hätte ich erleichtert aufgelacht, doch in dem Moment hob das Tier den Kopf und schien mich mit seinen stechenden gelben Augen zu fixieren. Ein Gefühl der Angst ergriff von mir Besitz. Ich ließ den Blick die Straße hinunterschweifen, die zwischen Pfützen orangefarbenen Lichts immer wieder in Dunkelheit getaucht war. Ich konnte niemanden entdecken, doch plötzlich wurde ein paar Meter von mir entfernt ein Auto gestartet, seine Scheinwerfer erhellten die Straße, und ich erkannte in der Ferne eine Gestalt. Durch den Neuschnee verlief eine Fußspur.
Ich zog die Vorhänge wieder zu und wandte mich ab. Ich benahm mich vollkommen lächerlich, rief ich mich selbst resolut zur Vernunft. Paranoid. In London ist immer jemand wach. Es sind immer Autos, Katzen und Gestalten auf der Straße unterwegs. Egal, wann ich in der Nacht aufwachte, ich konnte jederzeit mein Gesicht gegen das Fenster pressen und jemanden draußen stehen sehen.
Ich ging wieder ins Bett und rollte mich zusammen, schlang die Arme um meinen Körper. Meine Füße waren eiskalt, deswegen versuchte ich, sie unter mein Rugby-Shirt zu ziehen, um sie zu wärmen, was mir aber nicht gelang. So stand ich erneut auf und ging ins Bad. Ich hatte eine Wärmflasche an der Tür hängen sehen. Ich setzte den Wasserkessel auf, füllte die Wärmflasche, nahm noch einmal zwei Tabletten gegen meine Kopfschmerzen und kehrte dann ins Bett zurück. Die Wärmflasche an mich gedrückt, versuchte ich, wieder einzuschlafen. Gedanken wirbelten durch meinen Kopf wie ein wilder Schneesturm, und die Dinge, die ich erledigen musste, türmten sich wie hohe Schneeverwehungen vor meinem geistigen Auge auf: die Anrufe, die ich zu tätigen hatte, die Namen der Leute aus der Avalanche-Akte, die ich aufsuchen wollte, außerdem musste ich herausfinden, wo Jo abgeblieben war, oder mehr über sie in Erfahrung bringen, und dann war da noch diese mysteriöse Pille danach. Es musste jemanden geben, der wusste, was um alles in der Welt ich im Schilde geführt hatte, aber die Frage war, ob ich nach zwei Männern oder nur nach einem suchen sollte, ob ich womöglich schwanger war? Ich dachte an mein altes Leben, das inzwischen sehr weit zurückzuliegen schien, wie ein Bild hinter Glas, während dieses düstere, bedrohliche neue Leben sich jedes Mal zu verschieben und zu verändern schien, sobald ich einen Blick darauf zu werfen versuchte.
Der Heizkörper knackte und summte, und nach wenigen Minuten war es schon nicht mehr ganz so kalt im Zimmer.
Trotz des zugezogenen Vorhangs konnte ich sehen, wie es draußen allmählich hell wurde. Es hatte keinen Sinn, ich konnte nicht mehr schlafen. Solange ich hier im Bett lag, hockte die Angst wie eine große fette Kröte auf meiner Brust.
Um sie zu vertreiben, musste ich endlich anfangen, den Dingen Herr zu werden. Einen anderen Weg gab es nicht.
Ich nahm ein Bad, dessen Temperatur hart an der Grenze des Erträglichen lag, so dass ich, als ich herausstieg, krebsrote Haut und runzelige Finger hatte. Ich schlüpfte in meine weite Hose, den schwarzen
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