In seiner Hand
mir nicht sagen, wo du warst.
Ich habe versucht, dich telefonisch zu erreichen, aber ohne Erfolg.«
»Was war, als ich vorbeigekommen bin, um meine Sachen zu holen? Was war da?«
»Da haben wir uns gar nicht gesehen. Du bist gekommen, als ich nicht da war.«
Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog.
»Tut mir Leid«, sagte ich. »Ich weiß, dass ich zur Zeit ein bisschen schwer von Begriff bin. Du sagst also, wir hatten keinen Kontakt mehr, nachdem ich dich verlassen hatte?«.
»Wir haben telefoniert.«
»Das meine ich nicht. Wir haben uns wirklich nicht mehr gesehen?«
»Nein. Du wolltest nicht.«
»Wer zum Teufel …«
Ich hatte einen Satz begonnen, den ich unmöglich zu Ende führen konnte.
»Hör zu, Abbie, ich möchte wirklich …«
In dem Moment klingelte es an der Haustür, und ich erfuhr nie, was Terry wirklich wollte, auch wenn ich es mir in etwa vorstellen konnte. Ich sah, wie Terry die Zähne zusammenbiss. Ihm war anzusehen, dass er wusste, wer vor der Tür stand, und deswegen wusste ich es auch.
»Das ist jetzt aber ein bisschen unangenehm«, sagte er, während er auf die Tür zusteuerte.
Ich war nicht in der Verfassung, mich mit weiteren Problemen herumzuschlagen und musste tief Luft holen, bevor ich ihm antworten konnte.
»Das ist überhaupt nicht unangenehm. Geh und lass sie rein. Ich komme mit dir runter. Ich wollte sowieso gehen.«
Hintereinander trotteten wir die Treppe hinunter. »Ich bin gerade am Gehen«, sagte ich an der Tür zu Sally. »Ich habe bloß meine Post abgeholt.« Ich schwenkte meinen Briefumschlag.
»Schon gut«, antwortete sie.
»Keine Angst, ich werde das nicht zur Gewohnheit werden lassen.«
»Ich habe damit überhaupt kein Problem.«
»Das ist ja phantastisch«, meinte ich im Vorbeigehen.
»Ich bin wirklich und wahrhaftig der Meinung, dass Sie und Terry weitaus besser zusammenpassen, als Terry und ich es je getan haben.«
Ihre Miene gefror.
»Wovon sprechen Sie überhaupt? Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Nein«, pflichtete ich ihr bei. »Aber ich kenne mich.«
Auf dem Heimweg machte ich an einem der Minisupermärkte Halt, die auf dem Gehsteig runzeliges Obst und Gemüse anbieten, was sie damit kompensieren, dass sie rund um die Uhr geöffnet haben. Ich kaufte eine Flasche Weißwein und die Zutaten für einen einfachen Salat. Zurück in Jos Wohnung, sicherte ich die Tür mit dem Vorhängeschloss und bereitete rasch den Salat zu. Ich war sogar zum Schlafengehen schon zu müde. Meine Augen brannten, mein Kopf dröhnte, mein Körper schmerzte. Ich schluckte zwei Tabletten, spülte sie mit einem Schluck kaltem Weißwein hinunter und aß allein und in völliger Stille meinen Salat. Während ich vor mich hinkaute, versuchte ich, Ordnung in das Chaos meiner Gedanken zu bringen. Mein Blick fiel auf die kleine Pyramide aus Jos Post. Das musste nicht unbedingt etwas Schlimmes bedeuten. Vielleicht hatte sie mich gebeten, für sie auf die Wohnung aufzupassen, während sie Urlaub machte oder im Ausland arbeitete. Ich blätterte durch ihre Briefe. Einer sah ganz nach einer Mahnung aus. Ich wusste nicht, ob das etwas zu bedeuten hatte. Vielleicht war Jo der Typ Mensch, der seine Rechnungen immer erst auf den letzten Drücker bezahlte. Oder sie hatte einfach eine übersehen. Genausogut konnte sie jeden Augenblick aus ihrem Urlaub zurückkehren. Ich beschloss, noch ein paar Tage zu warten, bis ich ihretwegen Nachforschungen anstellte. Erst einmal musste ich Nachforschungen in eigener Sache anstellen.
Ich ließ mich im Schneidersitz auf Jos Kiefernboden nieder und drapierte alle Objekte um mich herum: die Avalanche-Akte, die Post aus der Plastiktüte, die ich bei Terry abgeholt hatte, die Blätter von Carol, auf denen sie die Anrufe für mich notiert hatte, die Quittungen, die ich im Handschuhfach meines Wagens gefunden hatte.
Anschließend trat ich an den Schreibtisch in der Ecke und öffnete ihn. Aus einer großen Teetasse, auf welche der Plan der Londoner U-Bahn aufgedruckt war, nahm ich einen Stift und aus einer Schublade ein paar weiße DIN-A4-Blätter.
Was wusste ich über die Tage, an die ich mich nicht erinnern konnte? Auf eines der weißen Blätter schrieb ich oben in die Mitte: »Verlorene Tage.« In die rechte untere Ecke notierte ich »Donnerstag, 22. Januar«. Am Ende dieses Tages, kurz vor Mitternacht, war ich auf Tony Russells Türschwelle zusammengebrochen. Wie viele Tage war ich gefangen gehalten worden? Drei? Nein, es mussten mehr gewesen
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