In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
um sie eine Weile am Leben zu erhalten.«
Sie nahm einen Gegenstand vom Tisch und hielt ihn in die Kamera.
»Die Sache mit dem Fledermausbiss war zugegebenermaßen etwas melodramatisch.« Sie betätigte die Greifer, sodass das Maul des winzigen Fledermausschädels auf und zu klappte.
»Aber die Idee hat mir gefallen und es hatte den praktischen Vorteil, mir einen kleinen Vorsprung zu verschaffen – niemand von euch hat anfangs an Mord gedacht.«
Sie legte den Schädel wieder zurück.
»Anders als meine Schwester hatte übrigens jeder ihrer Mörder eine faire Chance, sein Leben zu retten. Sie hätten sich einfach nur erinnern müssen an das, was sie getan haben. Ich hätte nicht einmal verlangt, dass sie Reue zeigen, aber sie hätten sich wenigstens an ihren, an Sannas Namen erinnern müssen!«
Carlottas Stimme war laut geworden und sie hatte sich vorgebeugt, sodass ihr Gesicht nun sehr nahe an der Kamera war. Ein paar Speicheltropfen landeten auf der Linse. Dann ließ sie sich wieder zurücksinken.
»Wie dem auch sei, ich habe getan, was ich mir vorgenommen habe. Und ich habe dafür gesorgt, dass keiner von ihnen ungeschoren davonkommen wird.«
Sie lächelte noch einmal in die Kamera. »Es hilft euch übrigens nichts, den Rechner gleich vom Netz zu nehmen«, sagte sie dann. »Den Prozess, der in den nächsten Sekunden anläuft, habt ihr bereits mit dem Öffnen des Videos direkt auf dem Server angestoßen.« Sie hob die Hand. »Adieu«, sagte sie. Dann verschwand sie vom Monitor. Stattdessen erschien ein Countdown, der auf fünf Minuten eingestellt war und sogleich anfing, herunterzuzählen.
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«, fragte Hadice.
»Sie hat sich irgendeine letzte Gemeinheit ausgedacht.«
»Für mich sieht das aus wie ein Bomben-Countdown«, überlegte Hadice laut und sprach damit aus, was auch Henry dachte.
In diesem Moment kam der Einsatzleiter des Sturmkommandos in die Küche. »Wir haben das Grundstück abgesucht. Und wir haben da etwas Interessantes gefunden.«
Im Garten von Babette Sörgel stand ein alter Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Diese kreisrunden Gebilde waren überall in Wilhelmsburg verteilt, überall dort, wo der Weg für die Bevölkerung in den Wilhelmsburger Hochbunker an der Neuhöfer Straße zu weit gewesen wäre. Über Wilhelmsburg mit seinen Hafenanlagen, den Industriegebieten und dem Rangierbahnhof war die Bombenabwurfrate der Alliierten besonders hoch gewesen.
Babette Sörgel hatte das abscheuliche Relikt unter einem Erdwall begraben, den sie mit blühenden Büschen bepflanzt hatte. Den hinter Rosensträuchern verborgenen Eingang hatte sie frei gelassen. So diente der Bunker ihr viele Jahre einem friedlichen Zweck, als Lager für Blumenmulch, Dünger, Tulpenzwiebeln und Gartengeräte.
»Diese Tür ist zu. Und sie ist verdammt massiv«, sagte der Einsatzleiter zu Henry, der neben ihm stehend den Eingang begutachtete. »Das wäre jedenfalls ein perfekter Ort, um jemanden eine Weile gefangen zu halten.«
Henry nickte.
»Irgendwelche Lebenszeichen?«
»Bislang nicht. Wir haben schon geklopft, aber es rührt sich nichts. Das kann natürlich auch an der guten Isolierung liegen.«
»Und wie kommen wir da jetzt rein?« Hadice hielt den Laptop aus der Küche in der Hand und starrte auf den Countdown.
»Dazu müssen wir erst einen Spezialisten holen.«
»Wie lange noch?«, fragte Henry.
»Eine Minute, 24 Sekunden.« Hadice blickte wie hypnotisiert auf den Countdown und zählte: »23, 22, 21 …«
»Lassen Sie den Garten räumen«, ordnete Henry an. »Sofort. Hier kann jeden Moment alles in die Luft fliegen.«
Der Einsatzleiter hielt sich nicht mit Nachfragen auf. Er rief seine Männer mit einem knappen Kommando zu sich und ordnete den schnellstmöglichen Rückzug an.
Henry packte Hadice und warf sie sich über die Schulter. Dann eilte er mit ihr zurück zum Haus.
»Was ist, wenn Theo wirklich da drin ist?« Hadice sträubte sich gegen seinen Griff.
Henry stolperte ums Haus, wo sich schon die Kollegen versammelt hatten, weil man dort den bestmöglichen Schutz vor der erwarteten Druckwelle hatte. Er hoffte, dass die Nachbarn nichts von der Explosion abbekommen würden. Für eine Evakuierung fehlte die Zeit.
Hadice starrte auf den Laptop, den sie noch immer umklammert hielt. »15«, flüsterte sie, »14, 13 …«
Sie sah Henry an und zählte den Countdown weiter nach unten.
»Drei, zwei …«
Alle wappneten sich gegen die Explosion.
Doch es blieb
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