In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
Schultern.
»Ich glaube, jemand hat die beiden umgebracht. Und zwar jemand, dem sie zu Schulzeiten zugesetzt haben. Und das heißt, dieser jemand hat vermutlich auch dich auf dem Kieker.«
»Mich? Aber das ist doch vollkommen absurd.« Sie lachte nervös.
O ja, dachte Theo, du weißt ganz genau, worum es hier geht.
Sie blickte ihn herausfordernd an. »Warst du mit dieser gewagten Theorie etwa schon bei der Polizei?«
»Die Polizei hat keine Ahnung, was ihr vor Jahren für grausame Spielchen getrieben habt. Aber ich weiß es. Und du weißt es auch.«
Sie erhob sich. »Nun, vielen Dank für deine Besorgnis. Aber ich glaube, die ist völlig unbegründet.«
»Nathalie, mir ist schon klar, dass dir nicht daran gelegen ist, dass deine unrühmliche Vergangenheit ans Licht kommt. Aber hier geht es um Wichtigeres. Wenn ich recht habe, will dich jemand umbringen. Und glaub mir, an Tollwut zu sterben, ist kein schöner Tod.«
Er starrte ihr in die Augen. Dann ging er, ohne ihr die Hand zu reichen, hinaus.
Erst als sich die Tür hinter ihm schloss, erlosch das selbstbewusste Lächeln auf ihrem Gesicht. Dr. Nathalie Stüven, jüngstes Senatsmitglied der Stadt Hamburg, ließ sich auf einen ihrer schicken weißen Lederstühle sinken. Fassungslos betrachtete sie ihre Hände, die unkontrolliert zitterten.
Das darf doch einfach nicht wahr sein, dachte sie.
Damals
Nathalie Stüven, sechzehn Jahre alt, saß im Büro des Schulleiters. Dr. Krüger war ein unscheinbarer Mann mit sandfarbenem Haar. Er bevorzugte Kleidung in Erdtönen und trug Bart und Brille. Während die meisten Lehrer des in den Siebzigern gegründeten Gymnasiums Ende der Sechziger ihre Lehramtsausbildung gemacht hatten und liberale Einstellungen pflegten, war Dr. Krüger, obwohl im gleichen Alter, ein ganz anderes Kaliber. Krüger galt als streng, was ihm den Posten als Rektor eingebracht hatte. »Und«, fragte er, »weißt du, warum du hier bist?«
Nathalie lächelte schüchtern. »Nicht direkt«, sagte sie. Aber sicher weiß ich das, du Idiot, dachte sie.
»Dein Mitschüler Jonas Brenner hat versucht, sich das Leben zu nehmen.«
Nathalie setzte eine bekümmerte Miene auf. Sie wusste, auf ihr schauspielerisches Talent war Verlass. »Ja, furchtbar, nicht wahr. Wir finden das alle ganz schrecklich.«
»Mir ist zu Ohren gekommen, du hättest ihn tyrannisiert – gemeinsam mit Sebastian Klasen und Reinhold Lehmann.« Er blickte streng über seine Brille.
Du machst mir keine Angst, dachte sie. »Na ja, wir haben ihn manchmal ein bisschen aufgezogen. Aber das war nichts Besonderes, wirklich. Eher so freundschaftlich.«
»Freundschaftlich? Einer deiner Mitschüler hat berichtet …« Er blätterte in seinen Unterlagen und las vor: »Sie – damit sind Reinhold Lehmann und Sebastian Klasen gemeint – haben seinen Kopf in eine Kloschüssel gesteckt und mehrfach die Spülung gezogen.« Er blickte streng in Nathalies entgeistertes Gesicht. Dann fuhr er fort: »Sie lachten und schrien ihn an, dass ein Stück Scheiße wie er ins Klo gehört.«
»Ja, das war schlimm«, bestätigte Nathalie. »Ich habe die zwei ja auch versucht aufzuhalten, aber wissen Sie …« Sie zuckte die schmalen Schultern. »Die sind natürlich viel stärker als ich.«
»Das hört sich hier aber ganz anders an. Wie mir eine deiner Mitschülerinnen berichtet hat, sollst du die beiden sogar noch angefeuert haben.«
Sie tat so, als müsste sie kurz nachdenken. »Diese Mitschülerin – das ist nicht zufällig Sanna Sörgel gewesen? Wissen Sie, die ist nämlich sehr neidisch auf mich.«
Der Schulleiter seufzte. »Wer das gesagt hat, tut nichts zur Sache. Ich muss dich aber dringend verwarnen. Wenn mir weitere derartige Vorfälle zu Ohren kommen, werden wir härteste Maßnahmen ergreifen. Und Reinhold und Sebastian werde ich mir auch noch vorknöpfen. Wir werden ja sehen, ob sie deine Version bestätigen.«
»Natürlich.« Nathalie senkte bescheiden den Kopf. Sie wusste, die beiden würden alles bestätigen, was sie behauptet hatte. Und diese Sanna konnte sich auf was gefasst machen. »Das Miststück mach ich fertig«, sagte sie leise, als sie hinausging.
KAPITEL 8
Theo blinzelte, während er aus der schattigen Eingangshalle des Rathauses auf den Platz trat. Die Unterredung mit Nathalie war genauso unangenehm verlaufen, wie er geahnt hatte. Er brauchte dringend etwas, das seine Stimmung aufhellen würde. So schlenderte er durch die Arkaden, die sich an einem der Zuläufe der Alster zum
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