In sündiger Silvesternacht
weinte.
Manchmal, dachte Claire, können Urlaubstage unerträglich sein.
Mit Hermione auf dem Arm stand sie in ihrer Küche vor der Mikrowelle und wartete darauf, dass das Popcorn zu knistern aufhörte. Wäre sie jetzt im Büro, könnte sie sich mit Arbeit davon ablenken an Ty, ihre Zukunft oder die blöden Fotos im Internet zu grübeln.
Kein Gefühlschaos, nur zielgerichtete Arbeit.
Dabei gab es auch zu Hause eine Menge zu tun. Die Gala zur Förderung der Legastheniker kam immer näher, und auf ihrem Schreibtisch lag ein riesiger Stapel Papiere, die sie durchsehen musste. Ihre To-do-Liste war endlos lang, und eigentlich hätte sie noch herumtelefonieren müssen, um Sponsoren zu finden und Firmen, die gegen eine großzügige Spende auf der Gala einen Tisch für sich und ihre Geschäftsfreunde reservierten.
Leider konnte sie sich auf nichts konzentrieren, weil ihre Gedanken ständig um Ty kreisten. Daher war es vielleicht besser, dass sie im Moment frei hatte. Sonst würde sie wegen Konzentrationsmangels binnen fünf Minuten gefeuert werden.
Die Mikrowelle gab ein „Bing“ von sich, und die Katze sprang von Claires Arm, und sie zuckte zusammen. Im nächsten Moment erschrak sie gleich noch einmal, weil das Telefon klingelte.
Den ganzen vergangenen Tag über hatte sie Tys Anrufe ignoriert und ihn immer wieder auf den Anrufbeantworter sprechen lassen. Ja, ich bin feige, dachte sie. Im Moment brachte sie es einfach nicht über sich, den Hörer abzunehmen und Ty zu sich einzuladen.
Sie brauchte Zeit für sich, um ihre Gedanken zu ordnen und sich über das Wesentliche klar zu werden.
So sehr sie es auch genoss, Ty um sich zu haben, weil sie sich bei ihm so lebendig wie noch nie zuvor fühlte, musste sie sich doch eingestehen, dass er in weniger als zwei Monaten nur noch eine schöne Erinnerung sein würde.
Das wussten sie beide, obwohl sie diesen Punkt nie offen angesprochen hatten.
Ihre Karriere dagegen …
Ihre berufliche Zukunft war fest vorgezeichnet, und diese Chancen, die sie sich erarbeitet hatte, musste sie schützen.
Der Anrufbeantworter sprang an, und sie hörte ihre eigene Stimme und dann den Piepton.
„Claire? Ich bin’s noch mal, Ty. Ich will dich nicht bedrängen, wenn du nicht mit mir reden willst, aber allmählich mache ich mir Sorgen. Kannst du mir nicht wenigstens eine SMS schicken, damit ich weiß, dass es dir gut geht? Dann spüre ich zwar immer noch den Stich in meinem Herzen, den du mir versetzt, indem du mir ausweichst, aber wenigstens weiß ich, dass du nicht irgendwo tot im Graben liegst.“
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Im letzten Moment, kurz bevor er auflegte, hob sie den Hörer ab. „Ty?“ Zuerst hörte sie ihn nur atmen.
„Claire. Da bist du ja. Ich habe mir Sorgen gemacht.“
„Ja, ich weiß. Hör zu, es tut mir wirklich leid. Ich, ich … ich brauchte etwas Zeit zum Nachdenken.“
„Hoffentlich bedeutet die Tatsache, dass du jetzt mit mir sprichst, dass dein abschließendes Urteil zu meinen Gunsten ausgefallen ist.“
Claire schloss die Augen und erwiderte nichts.
„Oder etwa nicht?“
„Ty.“
„Nein, sprich es nicht aus. Ich will es nicht hören.“
„Letztlich hast du doch ohnehin vor, wieder von hier zu verschwinden.“ Sie zögerte, weil sie darauf wartete, dass er das Unvermeidliche leugnen würde. Als er schwieg, schloss sie die Augen. „Du wirst gehen, und ich will nicht nur eine Affäre für dich sein.“
„So sehe ich dich auch nicht, Claire.“
„Ich bekomme jetzt bereits ordentlich Gegenwind. Diese elenden Fotos …“
„Es tut mir unendlich leid, Claire, aber ich schwöre dir, wir finden eine Lösung. Du bist für mich keine Affäre.“
„Hast du vor, in Dallas zu bleiben?“
„Viele Paare führen eine Fernbeziehung.“
Sie zögerte. Dies ist der entscheidende Punkt, dachte sie. Dies ist die Grenze, die im Sand vor mir gezogen wurde. Bisher habe ich sie noch nie überschritten, aber jetzt muss ich es tun. Wenn ich es nicht jetzt gleich mache, wird es später nur noch mehr wehtun. „Ja, manche Paare.“ Sie seufzte. „Aber für mich ist das nichts, Ty.“
„Verstehe.“
„Ich glaube nicht.“ Entnervt strich sie sich durchs Haar. „Zwischen uns kann sich keine richtige Beziehung entwickeln, und an einer Affäre bin ich nicht interessiert.“ Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie wischte sie bedrückt weg. „Du wirst mich zurücklassen, und dann stehe ich mit den kläglichen Überresten meines guten Rufs
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