In sueßer Ruh
nicht«, sagte Butts.
Toby grinste ihn an. Sein Maul stand offen, die lange rosa Zunge hing seitlich heraus und entblößte die spitzen weißen Zähne. Butts wandte den Blick ab. Damit ich dich besser fressen kann …
KAPITEL 58
Als der Schlag kam, hatte er die Wucht eines Vorschlaghammers. Es gab kein Entrinnen, Ausweichen oder Wegducken. Er würde ihn aufspüren, das wusste Lee aus Erfahrung. Man konnte nichts tun, außer sich fügen. Zumindest kannte er das jetzt, dachte er, als die Schwärze auf ihn herabsank wie ein großer schwarzer Vogel, der ihm die Flügel um die Schultern legte.
Vertrautes wurde fremd. Die heimelige, einladende Atmosphäre seiner Wohnung war mit einem Mal erdrückend. Der Gedanke, nach draußen zu gehen, war erschreckend, aber dazubleiben war fast noch schlimmer. Alles macht ihm jetzt Angst: andere Menschen, die Nachrichten, Essen – vor allem Essen. Der Gedanke, etwas zu essen, war ihm mehr als zuwider. Es war schlicht unvorstellbar.
Am meisten Angst hatte er jedoch vor dem Anrufbeantworter.
Er übermittelte schlimme Dinge – die Nachricht vom Verschwinden seiner Schwester, die Mitteilung über die Anschläge auf das World Trade Center und ein Anruf, der ihn über ein weiteres Mordopfer des Van-Cortlandt-Vampirs informierte. Und natürlich die Stimme des mysteriösen Anrufers, der irgendwie etwas über das rote Kleid wusste. Er starrte das Gerät an, aber sein böses rotes Auge blinkte Gott sei Dank nicht – es gab keine neuen Nachrichten.
Er dachte an das Schriftstück mit seiner Diagnose, das man ihm bei seiner Entlassung aus dem St.-Vincent-Hospital mitgegeben hatte. Schwere klinische Depression mit Angststörung. Das verschärfe die Sache noch, hatte der Krankenhauspsychiater gesagt. Die Depression ist schon schlimm genug, aber da Sie noch Angstzustände haben, werden Sie vom Schmerz regelrecht überrollt. So seltsam es sein mochte, hatten diese Worte auf dem Schriftstück auch etwas Erleichterndes.
Kein körperlicher Schmerz, den er je erlebt hatte, kam auch nur in die Nähe davon. Die Schwärze war überall – in ihm, um ihn herum, sie sog die Vergangenheit und die Zukunft in ihren schwarzen Rachen und trennte ihn von jedem Gedanken oder der Erinnerung an Freude oder Vergnügen. Als klinischer Psychologe hatte er Depressionen beobachtet, Patienten gehabt, die daran litten. Aber keiner von ihnen hatte ihn auf die Wirklichkeit dieser vernichtenden Bewegungsunfähigkeit und Angst vorbereitet.
Lee lag erstarrt auf seiner Couch und stierte auf den Wasserfleck an der Decke, der die Umrisse von Texas hatte. In irgendeinem entlegenen Winkel seines gequälten Gehirns dachte er über das merkwürdige Paradox nach, voller Angst und zugleich von einer bleiernen Bewegungsunfähigkeit gelähmt zu sein. Nie hatte er so sehr jemanden zum Reden gebraucht wie im Augenblick. Er hatte geglaubt, das Schlimmste hinter sich zu haben und auf dem Weg der Besserung zu sein, deshalb war es so entmutigend zu erkennen, dass er sich getäuscht hatte. Er zwang sich, sich aufzusetzen und nach dem Telefon zu greifen. Seine Hand zitterte, als er die wohlbekannte Nummer wählte. Er hatte Glück – Dr. Williams war in ihrer Praxis und konnte es einrichten, ihn später zu empfangen. Er sagte ihr nicht, worum es ging; er war einfach nur glücklich, dass sie in einer Stunde einen Termin frei hatte. Jemand anderes hatte kurzfristig abgesagt.
Auf dem Weg zur Praxis sah er eine zerfledderte Fotografie, die noch auf dem St. Mark’s Place an einem grünen Laternenpfahl hing. Nur die Augen waren zu sehen – dem Aussehen nach zu urteilen, die einer jungen Frau, die ihn von einem staubigen Fetzen Kopierpapier anlächelte. Der Rest ihres Gesichts war weg, genau wie der Text unter dem Bild. Er wusste trotzdem, was da gestanden hatte: VERMISST – BITTE UM MITHILFE. Außerdem eine Telefonnummer und irgendein Name: Caroline, Mary, Barbara oder auch Anika, Indira oder Mussaret. Bei den Anschlägen waren auch viele Moslems umgekommen, ebenso viele andere Nicht-Christen, farbige Amerikaner und Ausländer. Die Terroristen hatten beim Töten Chancengleichheit walten lassen: Wer an diesem Morgen zur Arbeit gegangen war, wurde zum potenziellen Opfer.
Als er an Dr. Williams Sprechzimmer ankam, stand die Tür einen Spalt offen. Also klopfte er und trat ein. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, musste er ziemlich schlecht aussehen.
»Es läuft gerade nicht so gut, wie?«, sagte sie direkt, ohne eine Begrüßung, und
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