In sueßer Ruh
bist nicht daheim.«
»Ich war gerade am Gehen.« Er sagte ihr nicht, dass es noch ein Opfer gab. Er hatte keine Lust, etwas mit ihr zu teilen, nicht einmal das.
»Ich wollte dir nur sagen … na ja, ich hab dich gern, weißt du.« Er stellte fest, dass sie nicht »ich liebe dich« gesagt hatte.
»Worte sind wertlos, Kathy.«
»Was denn, bist du jetzt so was wie ein Existenzialist?«
»Ich sage nur –«
»Manchmal sind Worte alles, was wir haben.«
»Meinetwegen.« Er hatte keine Lust zu streiten. Und wollte sie sich nicht mit einem anderen vorstellen, nicht die Dinge, die sie miteinander machten, und was sie ihm zuflüsterte, das sie einmal ihm zugeflüstert hatte. Er dachte daran, wie sie aussah, wenn sie einen Orgasmus hatte, und dass er dieses Bild nie mit einem anderen Mann hatte teilen wollen – niemals. Seine Niedergeschlagenheit schlug allmählich in Wut um, und das erschreckte ihn. »Hör mal«, sagte er, »ich muss jetzt los. Wir reden später.«
Ohne auf ihre Erwiderung zu warten, legte er auf. Er wusste, dass er sie verletzte, aber es war ihm egal. Sollte sie doch unter den Konsequenzen ihrer Entscheidung leiden, das geschah ihr recht. Am liebsten hätte er auf etwas eingeschlagen – oder auf jemanden. Er ging ins Bad und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Er musste sich erst beruhigen, bevor er ging. Was er im Spiegel sah, gefiel ihm nicht besonders. Die blauen Augen waren eingesunken, die Wangenknochen stachen hervor. Die beiden senkrechten Falten zwischen den Augenbrauen waren tiefer geworden, und er sah blass aus.
Doch was ihn am meisten erschreckte, war, was er hinter seinen Augen sah: schiere animalische Wut. Genügend, dachte er, um hinzugehen und jemanden umzubringen.
KAPITEL 63
Travis »Tex« Gilbert war ein netter altmodischer Kerl, der gern feierte. An Freitag- oder Samstagabenden sah man ihn selten ohne ein Lone Star in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Man konnte sich darauf verlassen, dass er am Wochenende so gegen neun in Lillians Cowgirl Ranch aufkreuzte und nicht vor zwei Uhr früh ging.
Als er sich weder am Freitag noch am Samstag blicken ließ, fragte sich Lillian Pullman, die Besitzerin der Cowgirl Ranch, wo er abgeblieben war. Sie setzte auf Leute wie Travis, damit ihr Laden lief. Seit diesen schrecklichen Anschlägen im letzten Jahr war nichts mehr wie davor. Die Leute waren einfach nicht in der Stimmung, sich zu amüsieren. Sie hatte ihre halbe Belegschaft entlassen müssen, es jedoch geschafft, lange genug durchzuhalten, um ihre Kundschaft wieder auftauchen zu sehen. Die Stammkunden waren diejenigen, die sie eigentlich aufrechterhielten – ihren Laden ebenso wie ihre Gemütsverfassung. Sie hatte bei den Anschlägen ihre Zimmernachbarin verloren, eine tolle junge Frau, die an diesem Morgen im Turmrestaurant Windows on the World gearbeitet hatte.
Lillian machte jeden Sonntag als Allererstes gern ihre Buchhaltung, bevor sie das Lokal für die Meute öffnete, die hierher zum Brunchen kamen. Sie war Frühaufsteherin, was vielleicht etwas seltsam für die Betreiberin eines Musikklubs war. Aber das war sie schon immer gewesen, selbst als sie in ihrer Collegezeit in Austin zur Countrymusikszene stieß. Sie war vielleicht eine schwarze Frau, doch sie mochte nette altmodische Kerle einfach sehr und Musik sogar noch mehr.
Es war kurz nach acht, als sie im Klub ankam. Sie löste das Zahlenschloss am Stahlschiebetor und das dreifache Bolzenschloss der Eingangstür, anschließend tippte sie den Sicherheitscode in die automatische Alarmanlage ein. Drinnen atmete sie den Geruch von abgestandenem Bier und Brezeln ein und ging weiter nach hinten durch zu ihrem Büro. Ein Streifen Sonnenlicht drang durch das staubbesetzte Vorderfenster. Sie seufzte. Es war so schwierig, in dieser verdammten Stadt alles sauber zu halten, bei all dem Verkehr und den Abgasen auf der Straße. Und seit jenem furchtbaren Tag war die Luft noch schlechter geworden – sie roch nach Zerstörung. Sie fröstelte bei dem Gedanken, was diese winzigen Staubpartikel nun enthielten: die traurigen Überreste von Menschenleben, im Feuersturm zu Asche verbrannt. Asche zu Asche, Staub zu Staub, hatte ihre Großmutter immer gesagt. Werd nicht größenwahnsinnig, Lillian, hörst du? Wir werden irgendwann alle zu Staub, Mädel, vergiss das nicht.
Nun, Lillian hatte es nicht vergessen, sie war jedoch ehrgeizig, klug und zielstrebig und nach dem College so schnell wie möglich aus Texas weggegangen. Jetzt
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