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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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ganz schön dick aufgetragen. Lee fiel auf, dass Lugosi seine männlichen Opfer mit der gleichen heißhungrigen Leidenschaft jagte und im Augenblick des Vollzugs seinen langen schwarzen Umhang über sie zog.
    Der Mörder, den Lee suchte, war keine glamouröse Gestalt, außer vielleicht in seiner eigenen verbogenen Denkweise. Doch in seiner verzerrten Identität lag kein Trost. Deformiert durch sein brennendes Leid, wiederholten sich die Schrecken der Kindheit in seinem Kopf immer und immer wieder, bis sein Verhalten die Vergangenheit wiederholte.
    Lee hatte Verständnis für diesen schrecklichen Schmelzofen, der Tag und Nacht in den Gehirnen von Serientätern brannte, und er bedauerte sie. Gleichzeitig war er jedoch bereit, sie unermüdlich zur Strecke zu bringen. Er hatte wirklich tiefes Mitleid, aber sein Verlangen, den Tod seiner Schwester zu rächen, war größer. Auch er war in einer Endlosschleife gefangen, auch in seinem Kopf wiederholte sich ein Drama, das die Zeit nicht zum Verstummen bringen konnte. Er hatte mit seiner Beute die Unfähigkeit gemeinsam, einen Trieb abzustellen, der sich mit der Zeit immer tiefer in sein Gehirn einbrannte.
    Auf dem Fernsehbildschirm nahm sich Graf Dracula ein neues Opfer vor, und eine weitere Seele betrat die Grauzone zwischen Leben und Tod.

KAPITEL 29
    Davey bestieg die U-Bahn und setzte sich neben eine ältere schwarze Frau, die einen verschlissenen Stoffbeutel umklammerte. Sie trug ein Kleid mit grünem und orangefarbenem Blumenmuster und einen dazu passenden kleinen Hut. Sie sah erschöpft aus und schlief halb, und sie tat Davey leid, dass sie um diese Zeit alleine mit der U-Bahn fahren musste. Jeder, der zu dieser Zeit frühmorgens in der Bahn saß, war entweder auf dem Heimweg von einer ausschweifenden Nacht oder auf dem Weg zur Arbeit. Diese Leute, die ins Leere starrten oder lasen, hatten diese übliche versteinerte Miene, die er insgeheim oft als »das U-Bahn-Starren« bezeichnete. Die U-Bahn war kein glamouröser Teil der Stadt. Reiche Leute benutzten sie vielleicht nicht, richtige Menschen dagegen schon – diejenigen, die die Stadt eigentlich am Laufen hielten.
    Davey liebte U-Bahnen, vor allem nachts. Sie waren geheimnisvoll und unheimlich. Er liebte die Unerkennbarkeit der U-Bahn-Röhren, diese kilometerlangen, von Menschenhand geschaffenen Hohlräume, Stahl- und Betonadern, die sich durch die Eingeweide der Stadt schlängelten. Er liebte auch abgedunkelte Kinosäle und Fahrgeschäfte von Vergnügungsparks, in denen es durch pechschwarze Höhlen und Kanäle ging und wo das einzige Licht von gemächlich pulsierenden Glühbirnen kam, die einen schwachen Schein auf die umliegenden Wände warfen.
    Er lächelte über sich selber. Die »glamourösen« Leute waren nicht besser als alle anderen. Ihre ganzen Madison-Avenue-Einrichtungen und teure Bräune und Markenkochgeschirr konnten sie nicht vor menschlichem Leid bewahren. Sie litten wie alle anderen auch – und nicht immer so nobel wie ihre Putzfrau aus Guatemala, die drei Kinder zu ernähren hatte.
    Sie konnten vielleicht mit Botox die Falten aus ihren verwöhnten Gesichtern verjagen und ihr schlaffes Fleisch durch regelmäßiges Work-out im Fitnessstudio in Form bringen. Aber innendrin, dort, wo es zählte, waren alle gleich. Es gab keinen Zauber im Mondlicht nur für die Wohlhabenden. Wir sind, was wir tun, dachte er. Und wenn das, was man tut, Geld ausgeben ist, dann ist man ebendas: einer, der Sachen kauft. Und einer zu sein, der Sachen kauft, ist nur einen kleinen Schritt davon entfernt, einer zu sein, der Menschen kauft. Ihn würde jedoch niemals jemand kaufen. Er würde es ihnen zeigen – er würde es ihnen allen zeigen.
    Er schlug die Beine übereinander und drehte den Kopf, um der Frau neben ihm zuzulächeln. Sie war eine von den echten Menschen. Im Grunde, dachte er, sind wir doch alle von dem Gott verlassen, der uns geschaffen hat. Hilflos zurückgelassen auf einem kalten Felsen in der trostlosen Weite des Raums, genau wie Frankensteins Monster zurückgelassen wurde, um über arktische Eisschollen zu irren.
    Auf seiner langen Heimfahrt grübelte Davey darüber nach, welche Form seine Rache annehmen sollte. Er hatte ein paar Ideen und empfand ein perverses Vergnügen darin, der Demütigung nachzuhängen, die er durch diesen Barschläger erlitten hatte. Er befühlte mit dem Finger die Schürfwunde auf seiner Stirn. Die nette Sängerin hatte angeboten, sie zu säubern, aber er hatte abgelehnt. Er mochte

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