In sueßer Ruh
kommt’s.«
»Guten Abend. Unsere Titelgeschichte ist verstörend. Der Van-Cortlandt-Vampir hat ein neues Opfer gefunden.« Er machte damit weiter zu beschreiben, wie Liza Dobbins auf dem Woodlawn-Friedhof gefunden worden war, einschließlich sämtlicher medizinischer Einzelheiten. Sergeant Quinlans Vorsichtsmaßnahmen waren umsonst gewesen. Wieder einmal hatte die Presse Details über den Fall, die sie nicht haben sollte.
»Verdammt«, brummte Lee. »Wer zum Teufel –«
Das Telefon unterbrach ihn. Beim Klingeln lief Lee vor Angst ein Schauder über den Rücken. Er zögerte, beschloss jedoch dranzugehen. Zu seiner Erleichterung war es Butts.
»Haben Sie auch gerade diesen Dreck im Fernsehen gesehen?«, sagte er, die Begrüßung überspringend.
»Ja.«
»Mann, wenn ich rauskriege, wer diese undichte Stelle ist –«
Lee dachte kurz darüber nach, ihm mitzuteilen, dass er Susan Morton verdächtigte, verwarf den Gedanken jedoch wieder.
»Diese verfluchten Geier«, fuhr Butts fort. »Haben Sie gehört, was die sagen?«
»Ich habe gerade die Nachrichten angeschaut, als Sie angerufen haben«, antwortete Lee und fragte sich, ob Butts den Wink verstand. Er tat es nicht.
»Ich meine, ich glaube ja an den Ersten Zusatzartikel der Verfassung, aber wirklich, ich bitte Sie!«
Anders als Detective Butts hatte Lee nichts gegen die Medien. Allerdings spürte er ihren Heißhunger auf eine Story – irgendeine, was auch immer es sei –, um sie zu drucken und zu senden, die Spalten und die Sendezeit damit zu füllen. Sie waren gierig, raublustig – ein leerer Schlund, der darauf wartete, gefüttert zu werden. Für sie passierte ständig Nachrichtenfähiges, auch wenn es nicht so war. Hier nun hatten sie den Luxus einer echten Story – reißerisch und schlüpfrig, die Sorte, mit der man das Vorabendprogramm eröffnete.
»He«, sagte Butts, als Lee von einem Hustenanfall gepackt wurde. »Alles okay mit Ihnen?«
»Ich habe mich wohl erkältet.«
»He, Doc, wir brauchen Sie – schonen Sie sich, ja?«
»Ich geh früh schlafen heute.«
»Gut, sehr gut, prima Idee. Gute Besserung, ja?«
»Danke.«
Nachdem er aufgelegt hatte, stellte Lee die Lautstärke des Fernsehers stumm und zog sich die Decke bis zum Hals. Er dachte, dass er wahrscheinlich ein paar Aspirin nehmen sollte, war aber zu erschöpft, und ihm war viel zu behaglich, um sich zu rühren. Er wurde schläfrig, während er darüber sinnierte, was für ein kompliziertes Werkzeug das menschliche Gehirn war, so fein austariert und doch so unbegrenzt in seiner Fähigkeit, Aussetzer zu produzieren. Der Serientäter war ein Beispiel für einen auf entsetzliche, katastrophale Weise auf Abwege geratenen Verstand, der sich zu einem grauenhaften Gebilde verbogen hatte wie der ausgebrannte Metallrahmen eines Autos nach einem verheerenden Brand.
Er nahm die Fernbedienung und zappte mit noch immer auf Stumm geschaltetem Ton träge durch die Programme. In der verwüsteten Psyche eines Serientäters herumzuwühlen hatte etwas vom Gang über einen Autofriedhof, auf dem ausgebrannte Wrackteile lagen. Sie waren von Menschen ausrangiert und abgestellt worden, die sich eigentlich um sie hätten kümmern sollen, sie hatten sich überschlagen und waren auf Arten und Weisen vom Leben zerrissen worden, für die kein menschliches Wesen ausgerüstet war, sie zu überleben. Und doch überlebten sie es, indem sie ihr Unterbewusstsein umformten, um es den Schrecken anzupassen, die sie erlitten hatten, und indem sie sich selbst zu verzerrten Gestalten deformierten, um ihre Welt von den Grausamkeiten zu befreien, die man ihnen angetan hatte.
Er drückte die Fernbedienung weiter, bis er zum Sender mit den Filmklassikern kam. Dort lief Dracula von 1931 mit einer neuen Filmmusik von Philip Glass. Lee sah zu, wie Bela Lugosi sich über die ausgestreckt auf dem Bauch liegende Gestalt einer jungen Frau beugte, die in ihrem Bett schlief. Seine kajalgeschwärzten Augen loderten förmlich vor irrer Intensivität. Sie schlief weiter, als er sich anschickte, ihr in den Hals zu beißen, die Kamera hielt dabei auf seinen sichtlich geschminkten Mund.
»Nette Aufmachung«, murmelte Lee. Lugosi schien mehr Make-up zu tragen als seine Partnerin. Es war schon erstaunlich, wie unverhohlen sexuell das Bild war, insbesondere für die frühen Dreißigerjahre, in denen der Film entstanden war. Die Vorstellung vom Grafen als einer verführerischen und sexuell nicht eindeutig einzuordnenden Kreatur war wirklich
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