In tiefer Sehnsucht
Wanne gelegt haben. Ich will nur sichergehen, dass Sie durch das heiße Wasser nicht das Bewusstsein verlieren.« Er senkte den Kopf. »Na los. Ich tue Ihnen nichts. Ich könnte Ihnen niemals wehtun.« Etwas in seiner tiefen Stimme, seinem gesenkten Kopf und der Ruhe, die seine breiten Schultern ausstrahlten, beruhigte sie. Schnell zog sie sich aus, ließ sich in das heiße Wasser gleiten und seufzte. Das Unbehagen über ihre Nacktheit wich den wohligen Gefühlen, die sie durchströmten, als das warme Wasser ihre schmerzenden Muskeln entspannte.
»Darf ich mich jetzt umdrehen?«
Der silbrige Schaum bedeckte ihren ganzen Körper und ließ nur Hals und Kopf frei. »In Ordnung.« Ihre Blicke trafen sich. Sein Blick war starr auf ihr Gesicht gerichtet, statt nach unten zu wandern, um einen Blick auf ihren von Wasser und Schaum bedeckten nackten Körper zu erhaschen, dennoch war sie sich ihrer Nacktheit überdeutlich bewusst. Ihre Brüste schmerzten, und das warme Wasser brannte zwischen ihren Schenkeln. Im Zimmer herrschte absolute Stille, nur das Badewasser plätscherte leise, wenn sie sich bewegte.
Er brach das Schweigen. »Sie brauchen etwas zum Anziehen.«
»Mein Schlafzimmer ist hinter der ersten Tür links. Dort steht eine Kommode. Meine Nachthemden sind in der zweiten Schublade von oben.« Ohne zu antworten, verschwand er lautlos im Flur.
Als er weg war, hätte Isabelle gern erleichtert aufgeatmet. Stattdessen musste sie sich eingestehen, dass sie sich sicher gefühlt hatte, solange er im selben Zimmer gewesen war. Eingeschüchtert, ängstlich und – jetzt, da er weg war, konnte sie es sich eingestehen – sexuell erregt, aber gleichzeitig in Sicherheit vor der Welt da draußen. Beschützt und umsorgt.
Isabelle ließ sich tiefer in das warme, duftende Wasser sinken. Wie lange war es her, dass sich jemand so liebevoll um sie gekümmert hatte? Wann hatte sie sich zum letzten Mal wirklich fallen lassen können? Sie konnte sich nicht erinnern. Den Großteil ihres Lebens hatte sie damit verbracht, für ihre depressive Mutter zu sorgen, insbesondere in den letzten Jahren ihrer Krankheit. Und ihren Vater hatte sie immer nur als kindisch und hilfsbedürftig empfunden. Er war ganz bestimmt kein Mensch, auf den man sich verlassen konnte.
Das war wirklich lächerlich. Sie kannte Nicholas Lee überhaupt nicht. Er war ein Mann voller Geheimnisse, dessen Namen man nur mit gedämpfter Stimme aussprach.
Ein Gangsterboss. Wie kam sie nur auf den Gedanken, dass Nicholas Lee ein Mann war, auf den man sich verlassen konnte? Weil ihr Vater ihn kannte? Weil es ihm lächerlich leicht gefallen war, sie vor ein paar Straßengangstern zu retten? Weil er ihr mit seinen dunklen Augen direkt in die Seele zu blicken schien? Weil seine Schultern breit, seine Hände groß und seine Berührungen unendlich sanft waren?
Oder etwa, weil er unglaublich attraktiv war und ihr Körper vor Leidenschaft erbebte, wenn er in ihrer Nähe war?
Auf diese Fragen gab es keine Antwort.
Ihr Kopf sank nach hinten gegen den Rand der Badewanne. Sie schloss die Augen.
Als es klingelte, ging Nicholas zur Tür.
»Das ist für Sie, Chef.« Hochgewachsen und mit seinem blonden Haar das genaue Gegenteil von Nicholas, stand Kevin Morris vor Isabelles Wohnungstür, in der Hand eine große Thermobox. Auch wenn Kevin nach Nicholas’ Anruf nicht viel Zeit geblieben war, seinen Auftrag zu erfüllen, hatte Nicholas gewusst, dass er ihn nicht enttäuschen würde.
Das hatte er noch nie getan.
Vor zwölf Jahren hatte Nicholas Kevin dabei ertappt, wie dieser ihm sein Portemonnaie stehlen wollte. Er hatte dem Jungen schon das Handgelenk brechen und ihn zur Polizei bringen wollen, als dieser vor seinen Augen ohnmächtig zusammengebrochen war. Vor Hunger.
Der Junge, den er zunächst für einen gewieften Taschendieb gehalten hatte, stellte sich als Fünfzehnjähriger heraus, der von seinen gewalttätigen Pflegeeltern weggelaufen war und seit zwei Monaten auf der Straße lebte. Er war nicht nur unterernährt, sondern hatte auch offene Wunden am Körper von den Prügeln, die er bezogen hatte. Seine Arme waren mit Brandwunden übersät, da jemand auf seiner nackten Haut Zigaretten ausgedrückt hatte.
Nicholas hatte Ähnliches erlebt, und er konnte sich nur zu gut vorstellen, was der Junge durchmachte.
Also nahm er ihn mit nach Hause, gab ihm zu essen und nahm seine Erziehung in die Hand.
Er stellte Privatlehrer ein, damit Kevin seinen Highschool-Abschluss nachholen
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