In tiefer Sehnsucht
ihrem altmodischen Nachthemd die Küche betrat, hatte er Geschirr und Besteck gefunden und füllte einen Teller mit heißer Suppe.
Sie blieb in der geöffneten Tür stehen, ihre feuchten blonden Haarsträhnen umrahmten ihr Gesicht, und er bemerkte die dunklen Schatten unter ihren Augen.
Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen und die Traurigkeit aus ihrem Gesicht zu wischen. Ihre einzigen Gedanken sollten dem Genuss gelten, den er ihr verschaffen würde, wenn sie ihn in sich spürte.
Nicht jetzt
, schwor er sich.
Aber bald. Sehr bald.
»Setzen Sie sich und essen Sie etwas. Dann werden Sie sich gleich viel besser fühlen.« Er zog einen Stuhl heran, damit sie Platz nehmen konnte.
Isabelle blieb ein Moment reglos stehen und musterte ihn. Sie studierte sein Gesicht so aufmerksam, dass er geschworen hätte, dass sie ihm direkt in die Seele sah – wenn er eine gehabt hätte.
»Sie sind sehr … freundlich zu mir. Warum tun Sie das? Ich kenne Sie kaum.«
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Sie sollten sich erst mal stärken.« Ihr Blick war immer noch prüfend auf sein Gesicht gerichtet. Schließlich ging sie langsam zum Tisch und setzte sich. Nach ein paar Sekunden nahm sie den Löffel in die Hand und kostete von der herrlich duftenden Suppe. Er hatte Kevin gebeten, ihm zu bringen, was der Koch für das Abendessen zubereitet hatte, und das hatte er getan – es handelte sich um eine cremige Tomatensuppe.
Nicholas entkorkte die Flasche, die Kevin aus seinem Weinkeller mitgebracht hatte, und goss ein Glas für Isabelle und eins für sich selbst ein. Er warf einen Blick auf das Etikett und lächelte über Kevins hervorragenden Geschmack.
Im Zimmer herrschte absolute Stille, abgesehen von Isabelles Löffel, der ab und zu leicht den Tellerrand berührte, und den leisen Schluckgeräuschen, wenn sie an ihrem Wein nippten.
Als Isabelle den Teller geleert und ihr Weinglas ausgetrunken hatte, hatte ihr Gesicht wieder etwas Farbe angenommen. Auch wenn sie den Schock über den Überfall noch nicht überwunden hatte, waren ihre körperlichen und seelischen Verletzungen schon dabei, zu verheilen.
Plötzlich ließ sie den Kopf nach vorn sinken, wobei ihr ein paar Strähnen ihres blonden Haars über die Brüste fielen. Den Suppenlöffel hielt sie immer noch in der Hand.
Als ihre Hand zu zittern begann, schlug der Löffel klirrend gegen den Porzellanteller.
Nicholas ging zu ihr hinüber, hob sie hoch und trug sie ins Wohnzimmer. Sie immer noch in den Armen haltend, setzte er sich in einen Sessel. Vorsichtig strich er ihr über das Haar, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht an ihre Verletzungen zu kommen. Er drückte sie fest an sich, als sie das Gesicht an seinem Hals vergrub und in Tränen ausbrach.
Es waren die Tränen einer starken Frau, die nicht bei jeder Gelegenheit weinte. Anfangs versuchte sie noch, sich zusammenzureißen und lag starr in seinen Armen. Es kostete sie so viel Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten, dass sie zitterte.
Nicholas strich ihr die hellen Haarsträhnen aus dem Gesicht und beugte sich vor. Er küsste sie aufs Ohr und flüsterte dann hinein: »Lassen Sie alles raus.« Er drückte sie noch enger an sich. »Ich bin hier, um auf Sie aufzupassen.«
Ein Schauder erfasste ihren Körper, dann kamen die Tränen, schnell und leise. Nicholas legte schützend eine Hand um ihren Hinterkopf, um ihr etwas von seiner Wärme und Stärke abzugeben. Sie musste seine Hilfe nur annehmen.
Vor seinem inneren Auge stieg das Bild auf, wie sie in der Badewanne gelegen hatte. Ihre Zerbrechlichkeit, die seidige Zartheit ihrer alabasterfarbenen Haut. Er dachte an die Blutergüsse auf ihrem Arm, die blauen Flecken auf ihren Wangen und ihrem Hals. Unwillkürlich ballte er die Fäuste, als er sich wünschte, die groben Bastarde, die ihr das angetan hatten, noch einmal in die Finger zu bekommen.
Wenn er nicht rechtzeitig an ihrer Seite gewesen wäre … Aber er
war
da gewesen. Er atmete tief aus, damit seine Anspannung nachließ. Wenn das Leben ihn etwas gelehrt hatte, dann war es, nach vorn zu schauen und nicht über Vergangenes nachzugrübeln.
Was wäre, wenn
zählte nicht. Nur das Hier und Jetzt zählte.
Und im Hier und Jetzt saß Isabelle weinend auf seinem Schoß und brauchte seine Hilfe.
Allmählich wurde ihre Atmung ruhiger. Er bemerkte, dass ihre Tränen bereits trockneten; sie hatte die Augen geschlossen, und ihre langen Wimpern waren so dicht, dass sie auf ihren zarten Wangenknochen
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