In tiefster Dunkelheit
»Ich muss mal in einen Walmart. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es einen am Lakeshore Parkway.«
»Walmart?« Er warf ihr einen Blick durch die dunklen Gläser zu.
»Ich brauche dringend was, Burnett.« Sie blätterte zur nächsten Seite ihrer Notizen.
»Jess, wir fahren zurück ins Büro.« Wieder ein versteckter Blick in ihre Richtung.
»Hast du Tampons in deinem Büro?«
»Schon gut.« Er konzentrierte sich aufs Fahren.
Der Trick klappte immer wieder.
Walmart, 13:29 Uhr
Dan würde ein ernstes Wort mit Wells reden müssen. Nicht, dass er der Polizistin ihre Haltung ernstlich vorwerfen konnte. Jess hatte die Ermittlungen in einigen großen Fällen geleitet, und ihr Ruf war in der Tat ehrfurchtgebietend. Das allein würde das Interesse jedes jungen Detectives wecken. Und wie er sehr gut wusste, konnte Jess sehr überzeugend sein. Sonst hätte er ihr wohl kaum erlaubt, diese Ermittlung komplett an sich zu reißen.
Aber er konnte nun mal nicht behaupten, dass er bessere Ideen als sie hatte.
Der Marktleiter war nicht begeistert, dass sich Jess jeden Einzelnen seiner Mitarbeiter im Dienst vorknöpfen wollte, doch als sie ihren Ausweis zückte, gab er klein bei. Sie begannen mit den Lageristen im hinteren Teil. Niemand gab zu, Dr. Sullivan zu kennen oder sie gesehen zu haben. Von da arbeiteten sie sich durch eine Abteilung nach der anderen.
Dan hatte gegen ihre Vorgehensweise nichts einzuwenden gehabt. Nachdem er sich gestern Nacht in einem Zustand vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit befunden hatte, wollte er nichts tun, was sie verärgern könnte. Den ganzen Morgen war sie emsig gewesen und hatte dabei peinlich vermieden, ihn in irgendeiner Weise anzusprechen.
Wahrscheinlich hatte er es nicht anders verdient.
Er war zu weit gegangen.
Sie beide hatten den ganzen Tag so getan, als wäre gar nichts passiert. Es gab keinen Grund, daran jetzt etwas zu ändern.
»Mary, das sind Agent Harris und Chief Burnett. Sie haben ein paar Fragen an Sie.«
Die fünfzigjährige Leiterin der Gartenabteilung riss ängstlich die Augen auf. »Gern«, sagte sie zu ihrem Chef.
Die war es. Dan brauchte nicht Jess’ überragend scharfe Wahrnehmung, um das zu erkennen. Die Frau zitterte in ihrer blauen Weste.
»Guten Tag, Mary«, sagte Jess. »Wir suchen nach Dr. Maureen Sullivan. Wir glauben, dass sie Sie heute hier aufgesucht hat. Vielleicht hat sie sich Ihr Auto geborgt.«
»Sie ist meine Cousine.« Mary legte den Handscanner auf einen Stapel Säcke mit Grassamen und stieß einen Seufzer aus. »Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie wollte mir nicht mal sagen, was passiert war.« Ihr wässriger Blick begegnete Dans und richtete sich dann auf Jess. »Sie hat nur immer wiederholt, dass es ein Problem mit einer Patientin gäbe und sie in Gefahr wäre. Sie wollte für eine Zeit die Stadt verlassen, hatte aber Angst, sie würde verfolgt.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass sie meinte, sie selbst wäre in Gefahr«, fragte Jess, »oder die Patientin?«
Mary senkte beschämt den Kopf und wackelte damit hin und her, bevor sie die Frage beantwortete.
»Ich denke, sie sprach von sich, aber sicher weiß ich das nicht. Sie schien in Todesangst zu sein.«
»Mary«, sagte Dan, »wir brauchen Farbe, Baujahr und Modell Ihres Wagens. Und das Kennzeichen, wenn Sie uns diese Information geben können.«
Zehn Minuten später hatte Dan die Fahndung nach Mary Bensons weißem Ford Taurus, Baujahr 2008 eingeleitet.
Sheila, seine Sekretärin, bestätigte ihm per SMS , dass der Medienzirkus seine Zelte bereits vor den Büroräumen des BPD aufgeschlagen hatte. Gina hatte ihn gewarnt, dass ihnen nicht viel Zeit blieb. Wie gewöhnlich behielt sie recht.
Er wartete, bis Jess sich auf dem Beifahrersitz niedergelassen hatte, schnallte sich an und startete den Motor. »Sieht so aus, als würde dein Wunsch dir erfüllt.«
»Welcher?« Auch Jess legte sich den Sicherheitsgurt um. »Dass die Mädchen gesund und lebendig gefunden werden? Dass Spears an einem Herzinfarkt stirbt?« Mit gespielter Überraschung riss sie die Augen weit auf. »Nein, warte, mein Führungsoffizier wurde zurück nach North Dakota versetzt?«
»Wir können nicht zurück ins Büro.«
»Oh.« Sie machte einen Schmollmund. »Wie schade.«
»Diese Sache mit Spears wird zu einem Riesenproblem.« Dan wollte mit allen Mitteln vermeiden, dass der Typ jeden von Jess’ Schritten in den Nachrichten verfolgen konnte.
»Maureen
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