In tiefster Dunkelheit
spielt ein Spiel.«
»Vergnügen bereiten«, fragte Lori nach, »meinen Sie damit, er hat Spaß dabei?«
»Richtig. Er zieht Wonne aus ihren Reaktionen. Sie erregen ihn.«
»Wie schaffen Sie es, objektiv zu bleiben, wenn Sie Irre wie ihn analysieren?«
»Sie schalten alle Emotionen aus und konzentrieren sich auf die Fakten.« Ihr fiel ein, wie sie in Spears’ kalte Augen gestarrt hatte, und ihr Magen zog sich zusammen. »Dann hoffen Sie, dass der Mistkerl vor Gericht kriegt, was er verdient.«
»Glauben Sie, dass die Mädchen gefoltert werden? Können die Murrays denn so pervers sein?«
»Das kann ich jetzt noch nicht einschätzen. Dass wir keine Leichen gefunden haben, kann bedeuten, dass die Mädchen noch am Leben sind. Oder wir haben sie einfach nur noch nicht aufgespürt. Dass Dana Sawyer unter den Vermissten ist, ist der einzige Punkt, der möglicherweise auf Rache hindeutet. Sie war seine Freundin, die nach der Trennung ihr Leben ohne ihn weiterlebte.«
Um ein wirklich schlüssiges Profil zu erstellen, fehlten ihr zu viele Informationen. »Meine Vermutung ist, dass sie nach einer Tochter oder einer Schwiegertochter suchen.«
»Das könnte heißen, dass die Mädchen noch leben«, sagte Lori mit einem weiteren schnellen Blick in Jess’ Richtung.
»Machen Sie nicht den Fehler anzunehmen, ein geringerer Grad an Perversion würde gleichzeitig auch eine geringere Neigung zur Gewalttätigkeit bedeuten. Selbst eine einfache Obsession kann tödlich enden. Vor allem, wenn der Plan schiefgeht.«
Burnett hatte behauptet, Andrea wäre stark und clever. Jess hoffte, dass er recht hatte. »Wenn diese Leute, wie ich vermute, dies lange im Voraus geplant haben, dann hängt für sie ihre gesamte Existenz davon ab, dass alles so läuft wie geplant – wie immer dieser Plan aussehen mag. Ein Fehlschlag würde die Welt zerstören, die sie geschaffen haben, um der Realität zu entfliehen.«
»Also müssen wir mit Vorsicht vorgehen.«
»So ist es.« Da sie gerade von Vorsicht sprachen, wagte Jess einen Blick auf ihr Handy. Zwei verpasste Anrufe von Burnett, einer von Lily. »Mist.« Gut, dass sie auf Vibration umgestellt hatte.
»Bei mir auch«, sagte Lori. »Zwei Anrufe vom Chief, drei von Harper.«
»Hier draußen ist der Empfang nicht sehr gut.« Die Wälder, die Berge. Sie waren meilenweit von der Hauptstraße entfernt.
»Ganz schlecht sogar«, bekräftigte Lori.
Ein paar Minuten fuhren sie, ohne etwas zu sagen. Jess’ Bauchgefühl sagte ihr, es könne kein Zufall sein, dass sie immer wieder auf die Murrays zurückkamen. Ein verdächtiges Wort oder Verhalten des Vaters, mehr brauchte sie vorerst gar nicht. Als sie mit Burnett dort gewesen war, hatte er sich durchaus gesprächig gezeigt. Nun musste sie nur noch dafür sorgen, dass Lori weiter mitspielte.
»Ist es Ihnen und Harper ernst?«, fragte Jess. Es war an der Zeit, Spannung abzubauen. Ruhe. Konzentration. Wenn sie bei den Murrays ankamen, mussten sie beide voll da sein.
Lori sah sie fragend an. »Beruflich auf jeden Fall, ja.«
Jess lachte. »Ich sehe doch, wie er Sie ansieht.« Und Lori ihn.
»Er passt nicht in meine Pläne außerhalb der Arbeit.« Sie klang nicht überzeugt.
»Manchmal muss man seine Pläne ändern.« Jess entspannte sich und legte den Kopf an die Kopfstütze. Gestern Nacht hatte sie keinen Schlaf gefunden. Kein Wunder, wo sie mit der Suche nach den Mädchen keinen Schritt weiter waren und ihr beruflicher Ruf in den Nachrichten in den Schmutz gezogen wurde. Und unter demselben Dach mit Burnett sein zu müssen, hatte auch nicht gerade geholfen.
»Was ist mit Ihnen und dem Chief?«
»Was ist mit uns?«
»Ich sehe doch, wie er Sie ansieht.«
Sie war selber schuld. Jess schüttelte den Kopf. »Was Sie sehen, ist Vertrautheit. Unsere Beziehung ist schon seit langer Zeit beendet.«
»Wenn Sie es sagen.«
Bevor Jess gebührend darauf antworten konnte, fragte Lori: »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir beim Supermarkt an der 31 kurz anhalten? Ich muss mal auf die Toilette.«
»Und ich könnte etwas zu trinken gebrauchen.« Jetzt machte sich bemerkbar, dass sie das Mittagessen ausgelassen hatten.
Jess sah zu, wie die bewaldete Landschaft ringsum langsam in das kleine Städtchen Warrior überging. Es erschütterte sie immer noch, dass auch in solch einer heiteren, natürlichen Umgebung Böses geschah. Aber so war es. Jede Minute eines jeden Tages.
»Haben Sie den Wagen eigentlich selbst restauriert?« Jess verstand nicht viel von
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