In Todesangst
sie würde mal beim Secret Service anrufen. Mit ihrem Sarkasmus wollte sie mir offenbar durch die Blume sagen, dass die Polizei von Milford keine Leute für Sonderaufträge hatte. Ich war also mein eigener Leibwächter. Und ich fühlte mich alles andere als gewappnet für diese Aufgabe.
Alles schien in Ordnung, als ich in meine Einfahrt einbog.
Ich schloss auf, betrat die Diele und knipste das Außenlicht an. Das Haus sah fast so aus wie vor meinem Abstecher nach Seattle. Die meisten Sachen standen wieder an ihrem Platz, die Teppiche waren gesaugt, die Böden gewischt.
Meine Nase pochte, und obendrein plagten mich bohrende Kopfschmerzen. Ich sah in den Küchenschrank, wo ich normalerweise das Aspirin aufbewahre, hatte es aber anscheinend anderswo verstaut. Ich kramte in den restlichen Schränken, bis ich die Tabletten endlich gefunden hatte, und spülte zwei mit Leitungswasser herunter.
Gegen die Arbeitsplatte gelehnt, überlegte ich, was ich als Nächstes tun sollte. Ich hatte mir geschworen, jede wache Stunde der Suche nach meiner Tochter zu widmen. Blieb nur die Frage, wie ich die Zeit produktiv nutzen konnte.
Ich fragte mich, wie Arnie Chilton bei seiner Parallelinvestigation klarkam. Vielleicht hatte er ja inzwischen ein Creme-Donut aufgespürt.
Erst jetzt merkte ich, wie unendlich müde ich war. Und komplett mit meinem Latein am Ende.
Ich kam zu dem Schluss, dass es das Klügste war, ins Bett zu gehen, um Kraft für den kommenden Tag zu tanken.
Ich trank das Glas Wasser aus und stellte es in die Spüle. Doch plötzlich war ich unschlüssig, ob ich tatsächlich nach oben gehen und mich hinlegen sollte, hockte mich an den Küchentisch und ließ den Kopf auf die Unterarme sinken – seitlich, weil meine Nase immer noch höllisch schmerzte.
Womöglich konnte ich mich ja so ein wenig ausruhen und meine Batterien wieder aufladen. Und vielleicht kam mir ja doch noch eine zündende Idee, wie ich Syd finden konnte. Auch wenn dieser Kerl, der sich Eric genannt hatte, nicht wusste, wo sie steckte, würde es mir vielleicht weiterhelfen, wenn ich mehr über ihn herausfand, und dann …
Ich weiß nicht, wie oft das Telefon läutete, bevor ich es hörte. Ich fuhr hoch und warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach Mitternacht. Fast drei Stunden lang hatte ich am Küchentisch geschlafen. Ich stand auf, taumelte zum Telefon und hob ab.
»Hallo?«, sagte ich schlaftrunken.
Im Hintergrund hörte ich Lärm. Musik, Stimmengewirr, laute Rufe.
Und dann eine Stimme.
Eine Mädchenstimme.
»Ich brauche Hilfe«, sagte sie.
FÜNFUNDZWANZIG
»Syd?«, sagte ich. Am anderen Ende meinte ich leises Schluchzen zu vernehmen, aber die Musik im Hintergrund war zu laut. »Syd?«, wiederholte ich, während mir das Herz bis zum Hals schlug. »Bist du das? Wo bist du?«
»Hier ist nicht Syd.«
»Was?«, platzte ich heraus.
»Ich bin’s, Patty.« Sie klang verheult. »Können Sie mich hier abholen? Bitte!«
»Patty?«
»Können Sie mich hier abholen?«
»Was ist denn los, Patty? Alles okay mit dir?«
»Ich habe mir weh getan.« Jetzt fiel mir auf, dass sie leicht lallte.
»Was ist passiert?«
»Ich bin hingefallen.«
»Bist du betrunken, Patty?«
»Von den paar Kurzen? Nee, noch lange nicht.«
»Warum rufst du nicht deine Mutter an? Soll ich mit ihr telefonieren?«
»Meine Mutter?«, gab sie zurück. »Um diese Zeit ist die doch total knülle.«
»Patty, ich …«
»Jetzt haben Sie sich doch nicht so«, quengelte sie. »Holen Sie mich bitte ab.«
Plötzlich hörte ich die Stimme eines jungen Mannes. »He, was ist denn mit deinem Bein los? Hast du gerade deine Periode, oder was?«
»Fick dich ins Knie«, sagte Patty.
»Lieber erst mal dich«, konterte der Typ. Im Hintergrund hörte ich grölendes Gelächter.
Das gefiel mir überhaupt nicht. »Patty?«, sagte ich.
»Ja?«
»Wo bist du? Sag mir die Adresse.«
»Ich bin, äh …« Sie schien zu überlegen. »He!«, brüllte sie plötzlich. »Wo sind wir hier, verfickt noch mal?«
»In Amerika«, rief eine Männerstimme.
»Echt witzig, du Arsch!«, rief sie zurück. Ich hörte, wie sie mit jemand anderem redete, dann sagte sie: »Okay, kennen Sie die Straße, die unten am Strand entlangführt? Broadway? East Broadway?«
»Ja, klar.« Das war vielleicht fünf Minuten entfernt. »Und wo genau bist du da?«
»Na ja, bei so ein paar Häusern.«
O Gott. »Siehst du vielleicht irgendwo ein Straßenschild, Patty?«
»Nee … Warten Sie mal. Doch,
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