In tödlicher Gefahr
McGregor im letzten Monat?“
Der Aufseher seufzte. „Aber gewiss. Für die Akten: Ich war von Anfang an dagegen, aber Kramers Ehefrau verbürgte sich für McGregor. Er sei ein alter Freund und gehöre praktisch zur Familie. Sie verlangte so lautstark und wortreich sein Besuchsrecht, dass ich dachte, sie allein würde einen Aufstand anzetteln. Ich traf also eine Ermessensentscheidung und gestattete McGregor, seinen Freund zu besuchen. Nach Auskunft der Wachen haben sie nur miteinander geredet. Nach allem, was ich jetzt weiß, wünschte ich mir, ich wäre meinen Vorsätzen treu geblieben.“ Er seufzte wieder. „An einem Ort wie diesem Entscheidungen zu treffen ist nicht immer so einfach, wie man meint.“
„Ich nehme an, dass die Unterhaltung der beiden nicht aufgezeichnet wurde?“
Bedauernd schüttelte Paulson den Kopf. „Früher wurden Unterhaltungen zwischen Insassen und Besuchern aufgezeichnet. Doch nach dem Aufstand von 92 gab es eine Liste von Forderungen, unter anderem das Recht der Insassen auf Privatsphäre am Besuchstag. Sie hielten zwei unserer Wachen als Geiseln, und uns blieb keine Wahl, als an den Verhandlungstisch zu gehen und ihnen ein paar Zugeständnisse zu machen. Die Forderung nach Privatsphäre war eines davon.“
John fasste sich an die Brusttasche, in die er zuvor einen kleinen Rekorder gesteckt hatte. Paulson bemerkte die Bewegung, als sie in einen zweiten Korridor bogen. „Wie ich schon sagte, haben Sie natürlich meine Erlaubnis, Ihre Unterhaltung mit Kramer aufzuzeichnen. Ob er da zustimmt, ist eine andere Sache.“
John lächelte vor sich hin. Kramer würde kein Problem mit dem Rekorder haben. Oder mit einer seiner Fragen, das konnte er fast garantieren.
Verurteilte Männer sehen alle irgendwie gleich aus, dachte John. Oberflächlich betrachtet war da diese Aufsässigkeit, die Keckheit, während sie mit klirrenden Ketten in den Raum schlurften. Doch für den aufmerksamen Beobachter waren Angst und manchmal Hoffnung erkennbar, denn ein neuer Besucher konnte nur gute Nachrichten bedeuten. Gelegentlich sah man auch etwas anderes – einen tief sitzenden Zorn. Ihrer Ansicht nach hatte das System sie im Stich gelassen. Es war nicht ihre Schuld, dass sie ihr Leben ruiniert hatten, sondern die des trunksüchtigen Vaters, der die Familie verließ, oder der Mutter, die jede Nacht einen anderen heimbrachte, oder es waren die Schläge, die sie als Kinder bezogen hatten. Manchmal waren diese Gründe traurigerweise sogar wahr, doch ab und zu auch erfunden, je nachdem, was besser funktionierte. Hier Wahrheit von Fantasie zu unterscheiden war eine Aufgabe, die John gerne anderen überließ.
Earl Kramer war nicht anders. Er war nicht nur ein Schauspieler, sondern auch ein rücksichtsloser Killer. Die Bibel, die er mit in die Glaskabine brachte, änderte allerdings nichts an Johns Einschätzung.
Sie nahmen die Hörer auf, die auf beiden Seiten der Trennscheibe an den Wänden hingen.
„Hallo, Kramer.“
Argwöhnische Augen betrachteten ihn. „Wer, zum Teufel, sind Sie?“
„Hat man Ihnen das nicht gesagt?“
„Die erzählten, ein Bulle will mich sprechen. Aber ich kenne Sie nicht.“
„Dann ist heute Ihr Glückstag.“ John schenkte ihm ein unterkühltes Lächeln und wurde mit einem hoffnungsvollen Aufblitzen der schwarzen Knopfaugen belohnt.
„Ist das so?“
„Jede Wette. Aber zunächst möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen.“
Kramer verengte die Augen. „Wer ist gestorben?“
„Ihr Freund. Sie wissen schon, Ian McGregor.“
Earl Kramer sah ihn verständnislos an. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“
„Der Typ, der vor ein paar Wochen mit einem Plan zu Ihnen kam, der Ihnen beiden Geld einbringen würde – hundert Riesen, um genau zu sein. Sie mussten lediglich eine Tat gestehen, die Sie nicht begangen haben.“
Kramer lachte. „Warum sollte ich denn so was Blödes tun?“
„Weil Ihnen die Idee gefiel, fünfzig Riesen zu kassieren, ohne einen Finger zu rühren. Und weil Sie wussten, dass Ihr Geständnis eine neue Untersuchung nach sich ziehen würde, die Ihre Exekution auf unbestimmte Zeit verschieben würde.“ John schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. „Na, wie war das bis jetzt?“
Kramers Miene veränderte sich nicht. Immer noch wirkte er sehr selbstsicher, doch das würde sich gleich ändern.
„Sie sind dümmer, als die Polizei erlaubt“, sagte Kramer.
„Das glaube ich kaum. Wir haben Beweise, dass McGregor Sie am 4. Juni aus Princeton, New
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