In tödlicher Gefahr
rasch von ihm verabschiedet und sei zum Auto gelaufen.
Abbie wollte gerade die Schulverwaltung anrufen, als John erschien. Er eilte zu ihr, nahm ihre Hände und zwang sie, ihn anzusehen.
„Abbie, hör mir zu. In den meisten Fällen tauchen verschwundene Kinder wieder auf. Du weißt, wie Jungen sind.“
Er sprach leise und beruhigend auf sie ein, und einen Moment lang konnte sie sich einbilden, alles sei gut. Sie nickte und wollte ihm glauben. Andererseits wusste sie, dass Ben zu vernünftig war, um ohne Erlaubnis irgendwohin zu gehen. Er hätte ihr wenigstens telefonisch mitgeteilt, wo er war.
„Ein forensisches Team ist unterwegs“, fuhr John fort. „Sie werden jeden Zentimeter des Parkplatzes absuchen.“ Sie nickte steif. „Ich brauche Namen und Adressen von Bens Mitschülern und von seinem Lehrer.“
„Ich habe schon mit all seinen Freunden gesprochen“, erwiderte sie benommen. „Sie konnten mir nichts Neues sagen.“
„Es schadet nichts, sie noch einmal zu befragen. Gib mir die Adressen, Abbie.“
Sie gab ihm ihr Adressbuch und zeigte auf den ersten Namen der Liste.
„Außerdem brauche ich ein neueres Bild von Ben. Und du musst mir das Kennzeichen deines Acura nennen.“
Brady hatte dies wohl vorausgesehen, denn er suchte bereits in ihrer Handtasche.
Tränen liefen ihr über die Wangen, als er Bens letztes Schulfoto hervorholte – das, auf dem er unbedingt seine Baseballkluft hatte tragen wollen. Grinsend blickte er in die Kamera, und an seinem Hinterkopf stand ein störrischer kleiner Wirbel hoch, obwohl er ihn am Morgen mit Gel glatt gekämmt hatte.
Abbie fuhr mit dem Daumen über das lächelnde Gesicht und rang um Fassung. Wie viele Mütter hatten wohl bereits das Gleiche erlebt und einem Polizisten ein Foto überlassen, um ihr Kind heil und gesund zurückzubekommen?
Mit zitternder Hand reichte sie John das Foto. „Das wurde zu Anfang des Schuljahres gemacht.“
John nahm es. „Was hatte er heute an, als er das Haus verließ?“
Abbie dachte einen Moment an die allmorgendliche Hektik. Frühstück auf den Tisch bringen, die Jagd nach dem besonderen T-Shirt, das Ben unbedingt anziehen wollte, der rasche Blick in seinen Ranzen, ob er die Hausarbeiten dabeihatte, und der hastige Kuss auf die Wange.
„Blue Jeans“, erwiderte sie mit fremd klingender Stimme. „Ein marineblaues Poloshirt mit weißen Streifen und schwarze Turnschuhe.“
„Hatte er eine Schultasche?“
„Einen Harry-Potter-Tornister in Blau und Schwarz. Bens Name steht auf der Seite.“ Es war ein Morgen wie jeder andere gewesen, außer dass ihr Sohn den Bus verpasst hatte und sie ihn zur Schule hatte fahren müssen. Blinzelnd unterdrückte sie ihre Tränen. „Wo wirst du mit der Suche anfangen?“
„Zuerst will ich mit Lehrern und Mitschülern sprechen. Einer von ihnen hat vielleicht einen Blick auf den Fahrer werfen können.“
Das war aussichtslos, denn sie hatte schon gefragt. Aber sie sagte nichts dazu. John war ein ausgezeichneter Ermittler, und wenn es einen Weg gab, die Kinder dazu zu bringen, sich an etwas Wichtiges zu erinnern, würde er ihn finden.
„Abbie.“ Er hatte sein Notizbuch noch nicht eingesteckt. „Ich muss dich nach deinem Exmann fragen. Du hast erwähnt, er habe mal gedroht, dir Ben wegzunehmen.“
Erneut schloss sie die Augen. Jack. An ihn hatte sie überhaupt nicht gedacht. „Das ist lange her. Er würde so etwas jetzt nicht mehr tun. Mit seiner Karriere läuft es gut, und er hat wieder eine neue Beziehung. Ben wäre nur ein Hindernis für ihn.“
„Ich muss trotzdem mit ihm sprechen.“
Sie gab ihm die Telefonnummer und sah, wie er sie notierte.
„Fällt dir sonst jemand ein, der Ben mitgenommen haben könnte? Jemand, der sich irgendwie an dir rächen will? Dich quälen will?“
Abbie schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Feinde, zumindest glaubte sie das. Mit dieser Möglichkeit hatte sie sich jedenfalls noch nie befasst.
Brady trat mit gerunzelter Stirn zu ihnen. „Sie meinen … jemand, der einen Groll gegen sie hegt?“
John wandte sich ihm zu. „Ja, so einer wäre dazu fähig. Kennen Sie so jemanden?“
Brady sah Abbie viel sagend an. „Da fällt mir Ken Walker ein.“
John wandte sich ihr zu. „Der ehemalige Angestellte, den du bei Winberie gesehen hast?“
Brady riss die Augen auf. „Er ist dir zu Winberie gefolgt? Das hast du mir nicht gesagt.“
„Weil es nicht wichtig war“, entgegnete sie ungeduldig. „Es ist ja nichts passiert. Und Ken würde Ben nie
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