In tödlicher Gefahr
Lächeln auf Jordans Gesicht war Belohnung genug für John. Vielleicht hatte General Rhinehart ja doch tiefere Einsicht in die Notwendigkeit elterlicher Fürsorge, als er ihr zugetraut hatte.
Clarice war soeben mit ihrem BMW aus seiner Zufahrt gebraust, als sein Telefon läutete. Es war Officer Wilcox von der Township Police, der Stadtpolizei. Er kam sofort zur Sache.
„Wir haben eine Leiche gefunden.“
17. KAPITEL
S eit seiner Eröffnung 1906 wurden am Carnegie See viele Wassersportarten betrieben – Kanufahren, Segeln, Windsurfen, und natürlich fanden die Ruderregatten zwischen den Colleges hier statt. Johns Urgroßvater, ein Princeton-Absolvent, hatte zu den ersten Ruderern der Schule gehört, die das lang ersehnte Bootshaus nach seiner Errichtung 1913 benutzten. Niemals in seiner fünfundsiebzigjährigen Geschichte war der See Schauplatz eines Mordes gewesen.
Leichter Regen hatte eingesetzt und machte den Junimorgen nass und trübe. Das ungünstige Wetter hatte die Bootsfahrer bis auf einen einsamen Ruderer fern gehalten – ein College-Student im zweiten Jahr, der für ein anstehendes Rennen trainierte. Der Student, den John bereits befragt hatte, war soeben mit seinem Sportgerät aus dem Bootshaus gekommen, als er die Leiche am Wald entdeckt hatte.
Der Fundort war mit gelbem Polizeiband abgesperrt. Auf der Straße versuchte ein Uniformierter, Autofahrer weiterzuwinken und Gaffer zurückzuhalten. Zwei Techniker von der Spurensicherung waren bereits bei der Arbeit. Sie gingen in dem abgesperrten Bereich umher und gaben Fundstücke in Beutel, ohne auf den Detective zu achten.
„Was können Sie mir über das Opfer sagen?“ fragte John den Uniformierten, der neben ihm stand. Dave Wilcox war ein alter Hase mit seinen achtzehn Dienstjahren und so gut in seiner Arbeit wie jeder Detective des Dezernats. Deshalb hatte John ihn ermutigt, im nächsten Herbst seine Prüfung zum Detective zu machen.
„Männlicher Weißer namens Ian McGregor“, antwortete Wilcox, ohne auf seine Notizen zu sehen. „Laut eines abgelaufenen Führerscheins aus Toledo, Ohio, war er dreiundvierzig. Todesursache scheinen mehrere Stichverletzungen im Bauchraum zu sein. Neben der Leiche lagen eine aus einem Kleiderbügel gebogene Garrotte und der Schlüssel des Clearwater Motels. Es liegt ein Stück weiter unten an der Straße.“
John nickte. Er kannte das Motel. „Wurde die Tatwaffe gefunden?“
„Noch nicht. Aber hier sind überall Reifenspuren und Fußabdrücke.“ Sie gingen auf einen Bereich des Parkplatzes zu, wo ein Mann der Spurensicherung begonnen hatte, die Reifenspuren mit einer speziellen Fixierung auszusprühen.
Als John sich näherte, blickte der Mann auf. „Sieht nach einem Geländewagen aus, Detective.“ Er deutete auf die Spuren, die in alle Richtungen führten. „Entweder wollten da ein paar Kids angeben, oder jemand hat versucht, das Opfer zu überfahren.“
John studierte die Spuren, die sich in einem Umkreis von zwanzig bis dreißig Fuß befanden. Die letzte Annahme des Technikers ergab für ihn mehr Sinn als die erste. Andererseits, falls jemand versucht hatte, das Opfer zu überfahren, wieso war McGregor dann erstochen im Gehölz gelandet? Und wenn Kids hier gewesen waren, hatten sie vielleicht etwas gesehen. Das Gleiche galt für die Bewohner der Häuser an der Straße. Er schaute zu der Hand voll Häuser hinüber, die Blick auf den See hatten.
„Lassen Sie mich wissen, was Sie feststellen.“
„Sicher, Detective.“
John ignorierte den lästigen Regen und ging zum Leichenbeschauer, der neben dem Toten kniete. Frank Wang war ein kleiner, fast zerbrechlich wirkender Amerikaner chinesischer Abstammung mit gelblicher Haut, ergrauendem braunem Haar und müden Augen, die zu viel gesehen hatten. Er war John erst letzte Nacht begegnet, als man sie gemeinsam an einen anderen Tatort gerufen hatte.
„Was gibt’s, Frank?“ fragte John.
In einen gelben Gummiponcho gewickelt, blickte der Leichenbeschauer auf. „Schlafen Sie nie?“
„Dasselbe könnte ich Sie fragen.“
Missbilligend schüttelte Frank den Kopf. Als Arzt war er ein strenger Verfechter der Acht-Stunden-Schlaf-Doktrin, beherzigte seinen eigenen Rat jedoch nur selten.
John betrachtete das auf dem feuchten Boden liegende Opfer: scharfe, fast kantige Gesichtszüge, gerade Nase und dunkles Haar, das am Stirnansatz in einer Spitze zulief. Er trug ein marineblaues Poloshirt, das jetzt blutig war, und Jeans. Schwarze Laufschuhe komplettierten
Weitere Kostenlose Bücher