In tödlicher Gefahr
würde, bis die Bullen seinen Bruder fänden. Nachdem er die Zeitung gesehen hatte, war sein erster Impuls gewesen, mit dem nächsten Bus nach Texas zu fahren. Zur Hölle mit Arturo. Sollte er allein sehen, wie er da rauskam. Schließlich war er gewarnt. Doch an der Tür zu ihrem Apartment, das vorübergehend ihr Zuhause war, hatte er seine Meinung geändert.
Wie könnte er seinen Bruder in einem Augenblick verlassen, da er ihn am meisten brauchte?
Wie immer, wenn die zwei besten Teams der Liga aufeinander trafen, waren die Ränge am Carl Ripken Spielfeld voll. Nicht nur mit Eltern, sondern auch mit Großeltern und Nachbarn, die den Falcons oder Cardinals zujubeln wollten.
Die Spieler auf dem Feld wärmten sich auf, die Wangen gerötet vor Aufregung und Eifer, endlich anfangen zu können.
Sonntag war Abbies freier Tag. Vierundzwanzig glückliche Stunden, die sie ausschließlich für ihren Sohn reservierte. Es machte ihr nichts aus, dass sie die meiste Zeit davon auf dem Sportplatz verbrachte. Zuschauen, wie Ben seinen Spaß hatte, war ihr größtes Vergnügen.
Heute war es ihre Aufgabe gewesen, für die Belohnungen nach dem Spiel zu sorgen. Da es um Platz eins ging, war etwas Besonderes fällig gewesen. Anstatt der sonst üblichen Eiscreme hatte sie sich für selbst gebackene Schoko-Karamell-Kuchen entschieden, die mit Ball und Schläger dekoriert waren.
„Kannst du genügend für beide Teams machen?“ hatte Ben gefragt und sich den Schokoguss von den Fingern geschleckt. „Ich habe viele Freunde bei den Cardinals.“
Um ihn nicht zu enttäuschen, hatte sie den Jungen mit der Mutter eines anderen Spielers zum Sportplatz fahren lassen und rasch eine zweite Fuhre Kuchen gebacken.
Die Ränge waren bereits voll, als sie kam. Deshalb stellte sie sich an den Zaun, gleich hinter Jimmy Hernandez, Bens besten Freund und ersten Baseman der Falcons.
Am Ende des fünften Innings, es stand 4 : 4, hörte sie eine Männerstimme neben sich. „Machen Sie dem Schiedsrichter schon das Leben schwer?“
Leicht verlegen, weil ihre kritische Bemerkung über die letzte Schiedsrichterentscheidung offenbar gehört worden war, drehte sie sich zur Seite und sah John Ryan neben sich stehen. Zur saloppen Khakihose trug er ein T-Shirt mit Polizeilogo und eine Baseballkappe der New York Yankees, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Augen waren hinter der dunklen Pilotenbrille nicht zu erkennen, doch das freundliche Lächeln wirkte echt. Falls sie ihn gestern gekränkt haben sollte, da sie seine Einladung abgelehnt hatte, so zeigte er es nicht.
„Hallo, Detective Ryan.“ Das klang selbst für ihre Ohren steif, und sie ermahnte sich, lockerer zu werden, ehe er sich zu fragen begann, warum sie stets in die Defensive ging. „Spielen Sie heute nicht den Trainer?“
„Ich habe gerade erst freibekommen.“ Er hielt inne, um die Flugkurve eines Balles zu verfolgen, den der Spieler im Mittelfeld leicht fangen konnte. „Jordan redet schon die ganze Woche von diesem Spiel.“
„Ben auch. Ich konnte ihn nicht dazu bringen, etwas zu essen.“
Sie verfolgten, wie Ben, der an der zweiten Base spielte, einen schnellen Ball fing, den der Pitcher verfehlt hatte. Das Publikum jubelte und übertönte Abbies Begeisterungsrufe. John beugte sich zu ihr hinüber. „Ich fürchte, mein Team ist in Schwierigkeiten.“
„Abwarten.“ Obwohl sie sich in seiner Gegenwart unsicher fühlte, musste sie ihn immer wieder ansehen, weil er heute ganz anders war als bei der Befragung am Freitag. Es war unschwer zu erkennen, warum alle allein erziehenden Mütter, die sie kannte, eine Schwäche für John Ryan hegten. Er hatte etwas Dominantes, aber auch zugleich Vertrauenerweckendes – eine ruhige Kraft, die den Wunsch in einem weckte, ihn in Krisenzeiten auf seiner Seite zu haben.
„Wie lange spielt Jordan schon?“ fragte sie.
„Seit er laufen kann. Er hat mir immer zugesehen, als ich noch für die Mannschaft der Stadtpolizei gespielt habe. Mit drei Jahren kannte er die Namen aller Spieler und die Position, auf der sie spielten. Er hatte seinen ersten Homerun mit sechs. Letztes Jahr wurde er erfolgreichster Spieler. Im Herbst und Winter spielt er noch Fußball und Basketball.“ Er lächelte sie an. „Bedauern Sie, gefragt zu haben?“
Sie erwiderte das Lächeln. „Keineswegs.“
Er war ein Mann, der stolz war auf seinen Sohn, und das gefiel ihr. Jack hatte nie viel Interesse an Bens Erfolgen gezeigt und kaum reagiert, als sie ihm seinerzeit
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