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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Nicht Lärm und Getöse diesmal, sondern ein dumpfes Gewisper und Getuschel.
    »Was soll das?« fragte Saporta mürrisch.
    »Herr Dekan«, schrie einer der ordentlichen Doktoren, »ich muß meiner Empörung Ausdruck geben: Vesalius und Paré sind Moderne, und es ist eine Schande, sie in unserem
ordo lecturarum
neben die verehrten Meister der alten Medizin zu setzen.«
    Der Mann hatte fanatische schwarze Augen in einem schmalen, verrunzelten Gesicht, und seine gallige Heftigkeit überraschte den Dekan in einem Maße, daß ihm der Mund offenblieb. Doch Kanzler Saporta war dadurch nicht zum Schweigen zu bringen.
    »Doktor Pennedepié«, sprach er mit majestätischem Gehabe, »wenn Ihr eine Meinung äußern möchtet, dann habt die Güte, mich ums Wort zu bitten.«
    »Ich bitte Euch ums Wort«, sagte Pennedepié.
    »Ich erteile es Euch, erbitte mir aber Mäßigung in der Form und Präzision in den Gedanken.«
    »Also«, rief Pennedepié, wobei die Quaste an seinem Barett zitterte, »ich wiederhole meine Ansicht über die Wahl des fünften und des sechsten Buches für unser
ordo lecturarum
: ein Skandal! Und dieser Meinung bin ich nicht allein. Vesalius und Ambroise Paré sind Moderne. Schlimmer noch: es sind Zeitgenossen! Vesalius ist 1564 gestorben, und Ambroise Paré lebt noch.«
    »Möge Gott ihn uns lange erhalten!« sagte d’Assas mit sanfter Stimme und friedvollem Blick.
    »Doktor Pennedepié«, sprach in einem ganz anderen Ton Dekan Bazin, der sich wieder gefaßt hatte, »Ihr solltet in Eurer abgrundtiefen Ignoranz dennoch zur Kenntnis nehmen, daß keinerlei Festlegung seitens der Großen Ratstagung von Béziers es verbietet, Moderne in das
ordo lecturarum
aufzunehmen.«
    »Aber unter Rondelet hat es das nicht gegeben!«
    »Doktor Rondelet ist tot!« rief Saporta mit Donnerstimme. »Und es ist schon merkwürdig, daß Euch, der Ihr mich auf diesem Platz sitzen seht, das noch nicht aufgefallen sein sollte.«
    Pennedepié, vom Dekan der Ignoranz geziehen und so derb gerüffelt vom Kanzler, fühlte sich in seinem Stolz dermaßen verletzt, daß er Anstalten machte, seinen Platz zu verlassen. Da beschloß Doktor Saporta, Öl in seinen Essig zu gießen, weil er wohl fürchtete, daß andere sich dem Auszug anschließen könnten und Pennedepié dann Kraft genug haben würde, gegen ihn zu intrigieren.
    »Wer den Beschluß der Großen Ratstagung von Béziers nicht kennt, muß nicht zwangsläufig ein Ignorant sein«, sagte der Kanzler versöhnlich. »Und wenn Doktor Pennedepié die Modernen nicht mag, ändert das nichts daran, daß er selbst ein hochgelehrter Arzt ist und eines Tages seinen Platz unter den königlichen Professoren haben wird.«
    Mochte dies auch nur eine hohle Versprechung sein, sie wirkte Wunder: Doktor Pennedepié strahlte übers ganze Gesicht, setzte sich wieder und schwieg fortan.
    Doch schon meldete sich ein anderer David zu Wort, schleuderbewehrt.
    »Herr Kanzler, darf ich sprechen?«
    »Ihr dürft, Doktor Pinarelle.«
    Dieser Pinarelle war klein und mager, hatte eine spitze Nase, schmale Lippen, Flügelohren und machte, wenn ich von einem ordentlichen Doktor so sprechen darf, ein sehr dümmliches Gesicht.
    »Herr Kanzler, ich halte es für unzuträglich, Vesalius in unser
ordo lecturarum
aufzunehmen, denn er hat es gewagt, Galenus zu beleidigen.«
    »Er hat ihn nicht beleidigt«, sagte d’Assas mit sanfter Stimme, »er hat ihn höflich kritisiert.«
    »Das ist dasselbe!« rief Pinarelle. »Galenus kritisieren! einen Meister der griechischen Medizin!«
    »Wäre Galenus unfehlbar, müßte er Gott höchstselbst sein«, antwortete d’Assas mit seinem entwaffnenden Lächeln. »Und seine Methode, das muß man gestehen, war merkwürdig: er sezierte Tiere und übertrug das Ergebnis einfach auf Menschen, ohne seine Beobachtungen zu überprüfen. Also konnte er behaupten, der Uterus der Frau sei zweigeteilt, weil dies bei der Häsin so ist. Vesalius hat diesen Irrtum korrigiert.«
    »Das schert mich herzlich wenig. Lieber will ich mich mit Galenus irren als mit Vesalius recht haben!« keifte Pinarelle.
    Die Versammelten waren starr vor Verblüffung, doch dann breitete sich Gelächter aus, das die Hälfte der Bänke erfaßte. Kanzler Saportas grimmiger Blick beschwor Ruhe, und Dekan Bazin bemerkte in giftigstem Ton:
    »Doktor Pinarelle, solltet Ihr einmal die Gebärmutter einer Patientin behandeln, hätte es nicht unerhebliche Folgen, wenn Ihr im Verein mit Galenus irrtet.«
    Die ganze Versammlung brach in

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