In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Wunden leider so häufig sind in unseren wirren Zeiten, hielten wir es für gut, unsere Schüler hierin zu instruieren. Haben wir unrecht getan? Müssen wir das Buch des Ambroise Paré aus unserem
ordo lecturarum
streichen?«
»Ich an Eurer Stelle täte das!« schrie Doktor de la Vérune und meinte schon gesiegt zu haben.
»Moment!« sprach der Kanzler, und seine Augen leuchteten jäh auf. »Das will gut überlegt sein: Ambroise Paré hat Heinrich II. in seiner langen Agonie betreut. Und König Karl IX. hat ihn aus eigenem Entscheid an sich gebunden. Ich frage Euch alle und jeden einzelnen (hier ließ er seine Stimme anschwellen):dürfen wir unseren König leichten Herzens in seiner Wahl beleidigen und das Buch seines Leibarztes aus unserem
ordo lecturarum
streichen? Wer dies befürwortet, möge die rechte Hand heben!«
Er hatte seine hinterhältige Frage so drohend vorgebracht, daß die Versammlung erstarrte und keiner sich zu rühren wagte. Und mutig geworden angesichts dieser feigen Zustimmung, hob der Kanzler seinen Hammer, schlug kraftvoll auf die Tischplatte und verkündete:
»Das
ordo lecturarum
des Jahres 1566 ist angenommen.«
Man hätte meinen können, nun sei es vorbei mit den Fährnissen und Wechselfällen dieses Sankt-Lukas-Tages. Doch das galt weder für den Kanzler Saporta noch für mich, wie nichtig ich auch scheinen mochte bei den hier in Frage stehenden großen Interessen. Eher verwirrt denn verwundert über das Spektakel, das die Doktoren in ihrem eifervollen Zorn geboten, hatte ich mir Gedanken gemacht (würde ich zu Jahresende, um Doktor Pinarelle zu gefallen, in der Prüfung feige mit Galenus behaupten müssen, der Uterus der Frau sei zweigeteilt?) und war mit dem Schreiben ein bißchen in Verzug geraten, hatte den Titel des Ambroise Paré (den ich gut kannte, da ich ihn in meines Vaters Bibliothek hatte stehen sehen) noch nicht in Gänze hingeschrieben, als sich plötzlich Saporta über mich beugte und herrisch fragte:
»Nun, wie weit sind wir?«
»Mein Herr Vater, ich schreibe gerade das letzte Wort.«
Und kaum hatte ich es hingesetzt, als der Kanzler mir die Feder aus den Fingern riß und mit seiner großen Schrift, bei der alle Buchstaben zu Lanzen und Hellebarden wurden, das
ordo lecturarum
unten rechts unterzeichnete:
Doktor Saporta
Kanzler
Dann reichte er die Feder mit prahlerischer Miene dem Dekan (der, als er sich so behandelt sah, die Zähne fletschte) und entfernte sich, um mit Doktor d’Assas zu schwätzen, den er trotz dessen menschlicher Schwächen für Weingarten und Kammermädchen sehr schätzte. Ich saß noch auf meinem Schemel und sah Doktor Bazin, die Feder in der Hand, an das Buch herantreten. Er fixierte es wie die Schlange ihr Opfer, überlegte kurz. Plötzlich hellten sich seine gelblichen Äugleinzu listigem Glänzen auf, und mit kleiner zittriger Schrift setzte er seinen Namen hin, schrieb ihn in den freien Raum zwischen dem ordo lecturarum und Saportas Namenszug. Und so stand da zu lesen:
Doktor Bazin
Dekan
Doktor Saporta
Kanzler
Ein schlagender Beweis, daß er, obwohl Zweitunterzeichner, in der Hierarchie der Funktionen den ersten Platz einnahm: die Lehre stand höher als die Verwaltung der Schule.
Heiliger Antonius! dachte ich, das war ein listiger Einfall! Da werden unsere beiden Krokodile noch ordentlich aneinandergeraten!
Obzwar ich innerlich eher dem Dekan recht gab (er hatte das
ordo lecturarum
vorgetragen und zum großen Teil selbst zusammengestellt), wollte ich andererseits meinem Studienvater Saporta gegenüber Loyalität wahren. Also stahl ich mich wie eine marodierende Katze fort, schlich mich zwischen die schwarzen Roben und zupfte den Kanzler am langen Ärmel, um ihm
sotto voce
1 das Sakrileg zu vermelden.
»Das werde ich in Ordnung bringen!« sagte Saporta mit schlecht verhehltem Ingrimm.
Mit langen Schritten eilte er an den Tisch der königlichen Professoren zurück, gerade als Doktor Bazin, gesenkten Blicks und sich die Lefzen genüßlich leckend, die Feder an Doktor Feynes weiterreichte. Saporta griff sich das Buch, führte es ans Auge und las die Eintragung mit größter Sorgfalt.
»Mein Sohn Siorac«, sprach er endlich, »Ihr habt in der Tat eine schöne Handschrift. Leider habt Ihr beim Namen Rhazes das H vergessen, und da es nicht angeht, den Namen eines so großen Meisters der arabischen Medizin so entstellt wiederzugeben, werdet Ihr (und hier riß er jählings die von mir geschriebene Seite aus dem Buch) das
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