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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Bakkalaureus kann wählen, ob er das Bankett gibt oder der Bibliothek einen Dukaten spendet.«
    Bei dieser füchsischen Erwiderung – denn wer würde fünf tourische Livres für ein Bankett aufwenden wollen, wenn ihm die Bibliothek nur einen Dukaten abverlangte – blieb Merdanson der Mund offen; er gab sich geschlagen. Und mochte Saporta seinen Sieg auch nicht mit einwandfreien Mitteln errungen haben, so bewunderte ich doch seine listige Tücke und nicht minder die Klugheit der königlichen Professoren. Denn wie oft hatte ich meinen Vater sagen hören, die Schulen der Mediziner und Juristen trieben es zu arg mit ihren aufwendigen Festen, man solle das Geld lieber für Bücher ausgeben.
    »Herr Dekan, fahret fort«, sagte Saporta mit einer königlichen Gebärde, die Bazin sehr verwirrte.
    »Secundo: die Sektionen kosten viel Geld. Unter Kanzler Rondelet wurde der Mißbrauch so weit getrieben, daß deren im Jahr ein halbes Dutzend stattfanden, dabei hat die Große Ratstagung von Béziers ihre Zahl auf vier festgelegt. Wir werden uns an diese Zahl halten.«
    Wieder war große Bewegung unter den Schülern, diesmal berechtigter, doch niemand wagte Einspruch zu erheben, auch nicht der gerüffelte Merdanson. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich da ritt, jedenfalls wollte ich seinen Mut anstacheln. Ich tippte ihm sacht auf die Schulter und flüsterte:
    »Monsieur, jetzt gilt es, sich wacker zu schlagen!«
    Wie von der Tarantel gestochen, wandte sich Merdanson um und musterte mich mit abgrundtiefer Verachtung.
    »Kleiner Scheißer, du wagst es, die Schulter deines Alten zu berühren?«
    »Monsieur«, sagte ich, verärgert über seinen Ton, »auf den kleinen Scheißer anderthalben: Ihr seid größer als ich.«
    Merdanson glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.
    »Freunde, habt Ihr diesen Novizen gehört? diesen Irren? diesen Prahlhans? Nach der Versammlung dreschen wir ihm die Verrücktheit aus dem Leib.«
    »Ruhe!« schrie Saporta und schwang den Hammer, hierauf Figairasse die Rute pfeifen ließ und Ruhe einkehrte. »Fahret fort, Herr Dekan.«
    »Ich fahre fort«, sagte Bazin zähneknirschend, da er die Herablassung fühlte. »An letzter Stelle, meine Herren Scholaren, werde ich Euch das
ordo lecturarum
1 dieses Jahres vortragen.«
    »Mein Studiensohn Siorac, der eine schöne Handschrift hat, wird zum Podium kommen und das
ordo lecturarum
in das Buch der Schule einschreiben«, unterbrach Saporta ohne jede Scham den Dekan.
    »Sein Studiensohn! heiliger Bimbam!« raunte Merdanson. »Wir werden mit Wonne an den Vater denken, wenn wir den Sohn verprügeln.«
    »Mein Herr, Ihr werdet so nicht mehr lange reden«, erwiderte ich, ehe ich meinen Platz verließ.
    Und ich begab mich zum Podium, wo mir der Kanzler einen Schemel am Ende des Tisches zuwies. Doktor d’Assas reichte mir lächelnd das Buch der Schule und versah mich mit seinem Schreibgerät. Und trotz meines Streits mit Merdanson und der daraus erwachsenden Befürchtungen kam ich mir in so gelehrter Gesellschaft gar wichtig vor.
    »Hier also das
ordo lecturarum
«, sprach Dekan Bazin, und der giftige Blick, den er mir zuwarf, ließ mich begreifen, daß ich – als Studiensohn Saportas – in den Prüfungen zu Jahresende von ihm nicht sonderlich zarte Behandlung erfahren würde.
    »Was jedem Herrn an Ehr gebeut!« sagte Bazin, nahm seinBarett ab und fuhr mit feierlichem Gepränge fort: »Vornan Hippokrates: die Aphorismen …«
    Bei Nennung des verehrten Meisters der griechischen Medizin entblößten auch die königlichen Professoren und die ordentlichen Doktoren ihr Haupt und setzten die Barette erst wieder auf, als der Dekan den nächsten Titel nannte:
    »Zweitens Galenus:
Libri Morborum et symptomatum
1 .«
    Merkwürdig, dachte ich beim Niederschreiben dieses Namens, daß man nur bei Hippokrates das Haupt entblößt, nicht aber bei Galenus, der zwei Jahrhunderte später gelebt hat – ist er vielleicht zu jung, um den gleichen Respekt zu genießen?
    »Drittens und viertens – wir wechseln zur arabischen Medizin über, darin treu der verehrten Tradition unserer Schule – Avicenna: Der Kanon der Heilkunde, und Rhazes: Traktat über die Blattern und die Masern. (Der Dekan legte eine kleine Pause ein, vielleicht eingedenk des zu erwartenden Skandals.) Fünftens Vesalius:
De corporis humani fabrica
2 . Sechstens Ambroise Paré: Über die Behandlung der durch Arkebusen und andere Feuerrohre verursachten Wunden.«
    Auf der Bank der ordentlichen Doktoren gab es große Erregung.

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