In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
seinen Anordnungen indes auch Feingefühl erkennen ließ.
»Die Alten«, fuhr Saporta fort, »haben bereits geschworen, die Statuten zu achten, die Novizen sind uns den Schwur noch schuldig und werden ihn jetzt einzeln ableisten. Bakkalaureus Fogacer möge sie anhand des Registers aufrufen.«
Da erhob sich Fogacer aus seiner Bank und begab sich zum Podium, wo Kanzler Saporta ihm das Schülerverzeichnis aushändigte.
»Luc Sanche!« rief Fogacer, beim Letzteingeschriebenen beginnend. Luc erhob sich, sehr bleich.
»Was muß ich sagen?« fragte er.
»Iuro.
1
«
»Iuro«
, sagte Luc.
Merdanson wandte sich um, musterte Luc und sagte laut und ernst:
»Er hat prächtige Hoden …«
»Aber weiche«, fiel mit klagender Stimme der Chor seiner Anhänger ein.
Ich war sicher, der Kanzler würde ein Donnerwetter loslassen und diese Narren zerschmettern, aber o Wunder! er blieb stumm wie ein Waldquell, das Auge friedvoll, das Antlitz gelöst. Später erfuhr ich, daß gutem Brauche gemäß (und daran wollte er in seiner Schule nichts geändert haben) die Alten während des Schwurs mit dieser bei Rabelais entlehnten Spötterei die Neulinge begrüßten.
»Pierre de Siorac!« rief Fogacer.
Ich stand auf, und Merdanson wandte sich nach mir um.
»Iuro«
, sprach ich mit erhobener Hand.
»Er hat prächtige Hoden«, sagte Merdanson.
»Aber weiche«, wiederholte der Chor.
Dreizehn Novizen waren wir, und alle dreizehn, nacheinander aufgerufen, sagten
iuro
und wurden in gleicher Weise begrüßt. Nach dem dreizehnten wollten die Alten uns mit Schmähungen und Zoten bedenken, aber schon fiel SaportasHammer nieder, ließ Figairasse seine Rute pfeifen, und lautlose Stille kehrte ein.
»Meine Herren Scholaren«, fuhr Saporta fort, »nun möchte Herr Dekan Bazin zu Euch über den Studienablauf sprechen.«
Dekan Bazin sprach mit kraftloser Stimme, doch die ihm innewohnende Mattigkeit wurde durch den giftigen Ausdruck seiner Augen wettgemacht. Er erklärte sich in wenigen Worten, als gälte es, Atem zu sparen.
»Zunächst ein Wort zur Schulbibliothek. Anno 1534 umfaßte sie 52 Bände. Heute sind es 86. Sie ist in 32 Jahren also um 34 Bände angewachsen. Dieser geringe Zuwachs hat Gründe, Bücher sind teuer, doch wünsche ich, daß wir fortan zwei Bände pro Jahr anschaffen. Darum werden wir den zum Bakkalaureus gekürten Schüler von dem Bankett, das er für die Schule auszurichten hat, befreien, sofern er der Bibliothek einen Dukaten spendet.«
Die Ereiferung auf den Schülerbänken war so einmütig, daß Saporta mit dem Hammer auf den Tisch schlug und in drohendem Ton fragte: »Wer möchte sprechen?«
»Ich, mit Eurer Erlaubnis, Herr Kanzler«, meldete sich Merdanson recht mutig und erhob sich.
»Merdanson, sprecht Ihr im eigenen Namen oder von Euresgleichen beauftragt?«
Wie ich bald begriff, war das eine listige Falle, in die Merdanson glatt hineintappte.
»Ich bin von meinesgleichen beauftragt, sie haben mich zum Schülerabt erkoren.«
»Nichts dergleichen!« polterte der Kanzler mit Donnerstimme, daß die Fensterscheiben in ihren Bleifassungen schepperten. »Titel und Amt eines Schülerabts sind abgeschafft durch Beschluß der Großen Ratstagung von Béziers, weil manche dieser sogenannten Äbte ihre Macht schändlichst mißbraucht, die Novizen zum Verkuppeln in die Badestuben geführt und dort mit Dirnen zusammengebracht haben, um den Neulingen das Geld abzunehmen, gar auch die Kleidung.«
»Ich habe solche Schändlichkeiten nicht begangen«, versicherte Merdanson, dabei sein Gesicht so rot ward wie sein flammender Schopf.
»Aber Ihr wagt es, Euren Professoren zu trotzen, indem Ihr Euch einen Titel anmaßt, der Euch nicht zusteht.«
»Aber der Brauch, einen Abt zu wählen, war hier unter Kanzler Rondelet wieder aufgekommen.«
»Kanzler dieser Schule bin ich!« sagte Saporta, »und solange ich das Amt innehabe, wird es diesen ungesetzlichen Brauch nicht geben. Merdanson, Ihr vertretet nur Euch selbst, und wenn Ihr reden wollt, dann nur im eignen Namen.«
»Herr Kanzler …«
»Ich höre«, sagte Saporta, obwohl er nur mit halbem Ohr dabei war.
»Herr Kanzler, unsere Meinung ist …«
»Merdanson, seid Ihr der König von Frankreich, daß Ihr im Plural redet?« unterbrach ihn Saporta.
»Herr Kanzler, ich meine, es ist wider die Tradition, das Bankett abzuschaffen.«
»Macht Eure Ohren auf, Merdanson, Ihr habt Dekan Bazin falsch verstanden«, sagte der Kanzler. »Das Bankett ist nicht abgeschafft. Der
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