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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Ganze noch einmal schreiben.«
    Hierauf Merdanson und seine Anhänger in schadenfrohes Gelächter ausbrachen (sie nannten mich »Pierre Rhazes de Siorac«); Saporta mußte dreimal mit dem Hammer zuschlagenund Figairasse zweimal seine Rute pfeifen lassen, ehe die Schufte zur Ruhe kamen.
    Sehr beschämt, daß ich in aller Öffentlichkeit dieses hinterhältige Geplänkel zwischen unseren Professoren büßen mußte, übertrug ich das
ordo lecturarum
ein zweites Mal von Anfang bis Ende auf ein jüngferlich reines Blatt. Dann griff Saporta zur Feder und setzte seinen Namen ganz dicht unter die letzte Zeile meines Textes, so nah, daß sich Bazin nicht mehr dazwischenschieben konnte. Und als fürchtete er, der Dekan würde sich links daneben auf gleicher Höhe mit ihm eintragen, füllte er diesen Teil mit zornigen, jeden anderen abwehrenden hohen Krakeln. Also mußte der Dekan nicht nur als Zweiter, sondern
unter
dem Kanzler firmieren, der damit für immer den Sieg davontrug und die Schule seiner ausschließlichen Herrschaft unterstellte.
     
    Der Kanzler, die Versammlung entlassend, hielt majestätisch als erster Auszug, gefolgt von Dekan Bazin, dann von den anderen königlichen Professoren, den ordentlichen Doktoren, in der Reihenfolge ihres Dienstalters, den Lizentiaten und schließlich den Bakkalaurei. Als die Schüler des zweiten Jahres, die Novizen, die Apothekenschüler und die Chirurgenlehrlinge ungeachtet dieses Auszuges weiter im Saal blieben, schwätzend ein jeder in seiner Gruppe und seinem Klüngel, kehrte Fogacer in Saportas Auftrag zurück und befahl uns, den Ort zu räumen, ein jeder solle sich friedlich heimbegeben, der Kanzler verbiete die Initiation, obwohl nach alter Sitte die gestandenen Schüler zu Sankt Lukas das Recht hatten, die Novizen dieser zeremoniellen Handlung zu unterziehen. Merdanson und seine Leute antworteten hierauf mit Geschrei und Gejohle.
    »Meine Herren Schüler«, rief Fogacer, seine langen Spinnenarme hebend, um den Tumult zu besänftigen, »Ihr habt die Anweisung des Kanzlers vernommen. Ich selbst habe wenig zu vermelden, ich bin nicht Euer Abt und nicht Euer Prokurator, allenfalls Euer Ratgeber. Und falls Ratschlag nötig ist: Ich an Eurer Stelle würde die Anweisungen des Kanzlers tunlichst befolgen. Er scheint gewillt, schon am ersten Tag ein Exempel zu statuieren.«
    »Heiliger Bimbam! Der Brauch soll unabweislich vergewaltigt werden!« rief Merdanson, und sein Gesicht nahm die flammende Röte seines Haarschopfs an.
    »Ach was! Mit Bräuchen ist es wie mit einem vergewaltigten Weib«, wandte Fogacer ein. »Es schreit und unterwirft sich.«
    Er machte auf dem Absatz kehrt und ging, während hinter seinem Rücken das Geheul aufbrandete.
    In diesem Krach und Durcheinander stahl sich Luc zu mir heran, nahm mich beim Arm und flehte mit zittriger Stimme:
    »Mein Pierre, gehorchen wir dem Kanzler! Verlassen wir diesen Ort, gehen wir heim!«
    »Ich soll heimgehen? vor diesem Merdanson fliehen? kommt nicht in Frage! Ich muß ihn mir noch heute vornehmen, was immer es mich kostet, und das Geschwür aufstechen!«
    Nicht daß ich sonderlich versessen darauf gewesen wäre: der Bursche war groß, breitschultrig, muskulös, und ich würde mit bloßen Händen gegen ihn kämpfen müssen, ohne Degen. Und sosehr ich den Mutigen spielte, zwackte mich doch ein bißchen die Angst im Gedärm, ein Kneifen, das ich tunlichst nicht zur Kenntnis nahm, weil ich dafürhielt, daß nicht das Eingeweide, sondern der Kopf den Menschen lenkt.
    Doch entgegen dem von Fogacer überbrachten Befehl (spä ter begriff ich des Kanzlers machiavellische List: er hatte seine Anordnung abgeschwächt, indem er sie durch einen Dritten übermitteln ließ), blieben die Schüler im Saal. Merdanson und seine Mannen wollten, noch ohne sich recht zu trauen, die Novizen demütigen und an mir Rache üben, während die Novizen, aus Angst vor dem tyrannischen Gehabe der Alten und weil sie in mir ihren Kämpen sahen, hinter meinem Rücken Schutz suchten. Die einen wie die anderen hielten tuschelnd Winkelkonzil, und wie es aussah, hätte man eher einem krepierten Esel einen Furz abgewinnen können als diesen Scholaren eine Entscheidung, so sehr zögerten sie, der Anordnung des Kanzlers zuwiderzuhandeln.
    Doch da kamen zwei Schüler zurück, die Merdanson als Späher ausgeschickt hatte, Gast und Rancurel mit Namen, der eine rund wie eine Tonne, der zweite dünn wie ein Brett. Sie hätten, verkündeten sie, Saporta in das Gefährt des

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