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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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gewaltiges Lachen aus. Pinarelle spürte den Biß der Viper und wie ihm das Gift durch die Haut drang, über viele Monate hin würde er Anlaß zu Gespött sein. Er erbleichte vor Groll und bedachte den Dekan mit einem haßvollen Blick, daraus der Kanzler schlußfolgerte, daß er sich Pinarelle noch leichter als Pennedepié botmäßig machen konnte.
    Das Lachen der Versammelten hätte fortgedauert, wenn nicht endlich Saporta mit seinem Hammer auf den Tisch geschlagen hätte.
    »Niemand hier«, sprach er, scheinbar auf Ausgleich bedacht, »wird das Wissen und Können von Doktor Pinarelle in Zweifelziehen. Monsieur de Joyeuse, der ihm die Heilung eines lästigen Katarrhs verdankt, wird mir da recht geben, er ist des Lobes voll für ihn. Das sei hier gesagt. Um jedoch die Skrupel von Doktor Pinarelle gegenüber dem hochrühmlichen Vesalius zu besänftigen, muß ich ihm zur Kenntnis geben, was nur wenige junge Leute in dieser Stadt wissen: Vesalius war in seinen jungen Jahren Scholar der Medizinschule von Montpellier.«
    »Aber das wußte ich nicht! Das ändert natürlich alles!« rief Pinarelle.
    So albern und einfältig diese Reaktion war, so sehr liebten alle, selbst wir Anfänger, unsere Schule, so daß die Bänke einmütig Beifall klatschten. Und Pinarelle lächelte dem Kanzler zu, schaute zufrieden in die Runde und schwieg.
    Ich meinte, daß nun endlich Friede einkehren würde, doch kaum hatte sich Pinarelle in seinen Rang zurückverfügt, warf ein dritter Rittersmann den Handschuh in die Arena.
    »Darf ich sprechen, Herr Kanzler?« fragte er.
    »Ihr dürft, Doktor de la Vérune«, sagte Saporta.
    Wie ich später erfuhr, hieß dieser Quidam in Wahrheit La Verrue (»die Warze«), aber weil der Name ihm mißfiel, änderte er ihn ab und setzte nachträglich auch noch ein
de
voran. Ich sah mir den Doktor de la Vérune an und fand ihn rundum feist, ob Wangen, Hals, Brust oder Wampe; er wirkte wie aufgeblasen.
    »Vesalius mag ja noch angehen, er war Doktor und hat an unserer Schule studiert«, rief er verdrossen. »Dagegen Ambroise Paré! Fast fehlen mir die Worte, um auszudrücken, wie sehr es mich empört, daß ein Buch dieses Chi-rur-gen (er betonte das Wort unendlich abschätzig) Aufnahme in unser
ordo lecturarum
findet! Können wir, Herr Kanzler, den gräßlichen Gedanken ertragen, daß Doktoren der Medizin das Buch des Ambroise Paré aufschlagen, zumal dieses gar noch in Französisch abgefaßt ist, und daß sie es lesen und kommentieren? Mir steigt die Röte ins Gesicht vor Scham! Ist dies, so frage ich, ein unserer Schule würdiger Lesestoff? Ein Doktor soll das in Französisch geschriebene Buch eines Chirurgen lesen, der nur Meister ist, kein Doktor! Sollen wir uns mit unserem Titel auf das Niveau der Gosse herabbegeben?«
    In das Schweigen hinein, das dieser Standpauke folgte – es zeigte den Dekan und auch den Kanzler peinlich berührt, weildie Privilegien ihres Standes fast allen noch geheiligter galten als das Wissen –, in dieses Schweigen hinein sprach Doktor d’Assas, mild lächelnd, mit friedvoller Stimme:
    »Wenn das die Gosse ist, will ich mich gern herabbegeben. Ich bin Doktor, ließe mich aber gern auf den Rang eines Meisters zurückstufen, wenn ich das Genie des Ambroise Paré hätte. Denn ich halte ihn für einen großen Mediziner und einen unvergleichlichen Chirurgen. Auf dem Schlachtfeld hat er unzähligen Verstümmelten das Leben gerettet, indem er das schreckliche Ausbrennen durch das Abbinden der Gefäße ersetzte. Und sein Traktat ist heutigentags unübertroffen in der Genauigkeit der Beschreibungen wie in den vorgeschlagenen Behandlungsmethoden.«
    »Das ändert nichts an der Tatsache, daß Ambroise Paré kein Doktor ist, sondern nur Meister!« rief Doktor de la Vérune und fegte mit einer Handbewegung die Argumente des königlichen Professors hinweg. »Notfalls könnten wir ihn heimlich in unserer Studierstube lesen, obwohl er nicht lateinisch schreibt. Ihn aber
ex cathedra
1 lesen und auf Französisch – das wäre unser Niedergang!«
    »Doktor de la Vérune«, sprach hierauf Kanzler Saporta, der sich vom reißenden Wolf in ein Lamm verwandeln konnte, »ich lobe den Eifer, mit dem Ihr den Ruhm unseres Titels gegen die Anmaßungen untergeordneter Grade verteidigt: jawohl, Ambroise Paré ist nur Meister und nicht Doktor. Noch schlimmer: er ist Chirurg. Und da bin ich mit dem Herzen ganz auf Eurer Seite. Allerdings ist seine Autorität unübertroffen, und da die von Arkebusen verursachten

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