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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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seiner Demarche aufzubauschen.
    Die Richter beratschlagten gerade, ob sie mich und meine Freunde verhaften sollten, als der Vicomte empfangen zu werden wünschte. Sie waren sehr erstaunt, daß Monsieur de Joyeuse sich herabließ, zu ihnen zu kommen, anstatt sie zu sich zu zitieren. Die hartnäckigsten Eiferer begriffen sehr gut, was er von ihnen wollte, und meinten, zunächst solle entschieden und dann erst der Vicomte empfangen werden. Es obsiegten aber die Gemäßigten, welche argumentierten, man dürfe dem Vertreter des Königs nicht den Schimpf antun, ihn warten zu lassen; im übrigen zieme es sich, ihn vor der Beschlußfassung anzuhören.
    Die Richter erhoben sich und machten eine tiefe Verbeugung, als Monsieur de Joyeuse den Saal betrat. Er seinerseits grüßte sehr höflich und bat die Richter, sich wieder zu setzen, nahm dann den ihm angebotenen Platz ein und hob zu reden an, eher mit bekümmerter denn gestrenger Stimme:
    »Meine Herren, ich vermute, Ihr beratet gerade jene bedauerliche Angelegenheit, an der sich ein kleiner Vetter meiner Gemahlin unklugerweise beteiligt hat. Gewiß, Gesetz ist Gesetz und die Rechtsprechung für alle gleich – dennoch seht Ihr mich in großer Betrübnis bei dem Gedanken, daß mein Verwandter ein Los erleiden könnte, dessen Schimpf auf mich zurückfiele. Es ist unzweifelhaft ein Verbrechen geschehen: unsere drei Medizinschüler haben eine Hure und ein Waisenkind exhumiert; sie waren jedoch nicht auf Gewinn bedacht und taten es auch nicht in schänderischer Absicht, sondern wollten mehr erfahren über die Geographie des menschlichen Körpers wie schon der große Vesalius, der in seiner Jugend vom Galgen der Stadt Leuwen einen Gehenkten raubte. Erinnert Euch auch, meine Herren, daß Kanzler Rondelet sich nicht scheute, seinen eigenen Sohn zu sezieren, um die Todesursache zu erfahren.«
    »Das ist etwas anderes, das Kind war noch nicht bestattet«, sagte einer der Richter.
    »Gewiß, Gewiß! Doch bedenkt bitte, daß unsere jungen Burschen mit der ärgerlichen Exhumierung keine Familie von Stand beleidigt haben: das Waisenkind war Zögling der öffentlichen Armenanstalt. Und von der Lustdirne weiß niemand, wessen Tochter sie war. Im übrigen haben unsere Burschen sie nach der Sektion wieder begraben …«
    »Aber ohne ihr Herz«, wandte einer der Richter ein.
    »Hatte sie ein Herz zu ihren Lebzeiten?« fragte Monsieur de Joyeuse und umging mit diesem Einwurf den Pfuhl theologischen Streits über die Frage, ob ein verstümmelter Körper der Wiederauferstehung von den Toten teilhaftig werden könne. »Bleibt das skelettierte Waisenkind: ein Kapitalverbrechen, fürwahr. Aber wo ist das Skelett? In der Medizinschule! Unsere Schüler haben es anonym Kanzler Saporta geschenkt, der es unbedachterweise annahm. Wenn Ihr also meinen kleinen Vetter und seine zwei Gefährten verfolgt, müßt Ihr auch den Herrn Kanzler der Medizinschule belangen, wegen Hehlerei.«
    »Warum auch nicht?« fragte einer der Eiferer.
    Diese dreiste Frage erboste Monsieur de Joyeuse. Und als er Erwiderung tat, waren sein Ton, seine Miene und Haltung gänzlich gewandelt. Er sprach mit bebender Stimme:
    »Warum auch nicht! fragt Ihr. Und warum nicht, wie gestern geschehen, hinter meinem Rücken einen Aufruhr anzetteln? Warum nicht blindeifrige Bauern gegen Cossolat aufstacheln, der mir, auch wenn er Hugenotte ist, treu dient? Oder gegen meinen kleinen Vetter? Oder gegen seine Freunde? Oder gegen Kanzler Saporta, der ebenfalls Hugenotte ist? Meine Herren, es genügt nicht, ein Urteil zu sprechen. Man muß wissen, was man will. Es mag ja schön sein, den Hugenotten drei Köpfe – darunter den meines kleinen Vetters – vor die Füße zu werfen. Wollt Ihr aber auch, daß sie zu den Waffen greifen und die Tore des Gerichts einrennen, um Euch ins Stadtverlies zu bringen? Wollt Ihr, daß sie Montpellier an sich reißen, wie es in ihrer Macht steht, weil sie die Leute, die Waffen und das Geschick dazu haben? Was bliebe uns dann übrig, als in die Feste Saint-Pierre zu flüchten, wo uns eine Belagerung mit ungewissem Ausgang droht?«
    Da erbleichten die Richter und fühlten ein Würgen im Hals.
    »Herr Vicomte«, hob einer mit zitternder Stimme zu sprechen an, »habt Ihr denn keine Mittel, unseres Königs treue Untertanen zu verteidigen?«
    »Ich verfüge über eine Handvoll Soldaten, davon die besten zur Reformation stehen.«
    »Aber Herr Generalleutnant«, sagte da einer der Eiferer, »wir können auf Verstärkung

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