In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Vassy vor fünf Jahren.«
»Das ist nicht zu befürchten«, sagte Cossolat. »Wir sind sehr viel stärker als sie.«
»Wir?« fragte ich mit einem halben Lächeln und dennoch ziemlich ernst. »Wir? Auf welcher Seite steht denn Ihr, Cossolat? Seid Ihr nicht Offizier von Monsieur de Joyeuse? Und was tut Ihr, wenn er Euch befiehlt, die Unseren mit blanker Waffe anzugreifen?«
»Ah, Pierre, das eben ist die Frage, die ich noch nicht entschieden habe!« sagte Cossolat mit einem tiefen Seufzer. »Ich bin loyal und will dem König dienen. Und dennoch! …«
Ich verließ Cossolat voll Mitgefühl wegen der Zweifel, in denen ich ihn sah, zerrissen zwischen seinem Glauben und seinem König. Und ich erinnerte mich gut, wie sehr mein Vater, weil er sich im ersten unserer Bürgerkriege der Hugenottenarmee nicht hatte anschließen wollen, noch langhin Gewissensqualen litt.
Als ich am 21sten September des Morgens mein Fenster öffnete, sah der Himmel schwarz und bedrohlich aus, und ich gewahrte draußen Männer in langen Purpurgewändern, die auf der Place des Cévenols einen Scheiterhaufen errichteten. Mir schnürte es die Kehle zu: sie wollten Cabassus verbrennen. Die Bestätigung gab mir Fogacer, der ohne Anklopfen in mein Zimmer trat mit bleichem, kummervollem Gesicht (denn er hatte ja doppelten Grund, ein ähnliches Schicksal befürchten zu müssen). Wortlos verfolgte er die unheilvollen Vorbereitungen des Henkers und seiner Gehilfen. Bald auch erschienen Cossolats Mannen, postierten sich rund um den Scheiterhaufen und in den Nachbarstraßen, um das herbeiströmende Volk – niemand mochte sich das Schauspiel entgehen lassen – auf Abstand zu halten.
»Pierre, zieht Eure Vorhänge halb zu, legt eine Maske vors Gesicht und stülpt eine Kappe über Euer Blondhaar, damit man Euch nicht erkennt«, riet Fogacer. »Ich werde dem hochrühmlichen Meister empfehlen, die Apotheke zu schließen und die Läden vor Tür und Fenster zu legen, falls bei einem Tumult diese Strolche zu plündern anfangen.«
Mein Fenster war vom Platz her gut einsehbar, weshalb ich tat, was er mir angeraten. Samson betrat mein Zimmer, als Fogacer gerade ging, und wunderte sich über meine Vermummung und das Treiben draußen. Wen man da zu verbrennen gedächte, fragte er.
»Einen Gottesleugner«, erwiderte ich, ohne auf Einzelheiten mich einzulassen, schon da ich meinem Bruder die Grabschändung noch nicht gebeichtet hatte.
»Einen Gottesleugner?« sagte Samson ungerührt. »Ha, das ist gut so.«
»Mein Herr Bruder, wie könnt Ihr, der Ihr von zartem, mitleidigem Herzen seid, so unmenschlich kalt den unsäglichen Qualen dieses armen Mannes entgegenschauen!«
»Aber er ist ein Gottesleugner!« sagte Samson. »Als der berühmte Michel Servet die Heilige Dreifaltigkeit leugnete, was ein weniger abscheuliches Verbrechen ist als die Gottlosigkeit, ließ unser Calvin ihn zu Genf verbrennen.«
»Was nicht sehr klug war von unserem Calvin.«
»Wie! Wollt Ihr Calvin rügen?« rief Samson.
»Calvin ist nicht Gott und ist auch kein Prophet. Warum sollte ich ihn nicht rügen?«
»Aber die Dreifaltigkeit leugnen ist ein Verbrechen!«
»Ein Irrtum, aber kein Verbrechen. Samson, wie können wir für uns Gewissensfreiheit fordern, wenn wir sie anderen versagen, die nicht unserer Meinung sind?«
»Aber ein Gottloser, mein Bruder, ein Gottloser! Darf man solches Gewürm dulden auf Erden?«
»Schluß, Samson, geht auf Euer Zimmer, laßt mich allein. Ich habe nicht die Kraft, weiter zu streiten.«
Hierauf mich der gerüffelte Samson mit Tränen in den Augen verließ, indes ich meine Barschheit schon bereute. Fogacer kam zurück, nun ebenfalls mit einer Maske vor dem Gesicht. Es begann zu regnen, zunächst in dicken Tropfen, dann in Strömen, begleitet von Hagel und einem steifen Wind, der eher den Winter als den Herbst ahnen ließ.
»Oje, das Holz näßt ein und wird nur mit kleiner Flamme brennen«, sagte Fogacer. »Um so länger dauert es. Cabassus wird entsetzlich leiden müssen, wenn Vignogoule ihn nicht im selben Augenblick, da er das Feuer legt, erdrosselt, was ich nur hoffen kann. Der Pflock in der Mitte des Scheiterhaufens hat nämlich ein Loch, durch das ein Seil mit einer Schlinge geführt ist.«
»Und wer bestimmt, ob der Verurteilte erdrosselt wird, ehe die Flammen ihn erreichen?«
»Das Gericht. Doch das ist eine geheime Gnade. Und Vignogoule läßt diese heimliche Gnade walten oder nicht, je nachdem, wie er von Freunden des Verurteilten
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