In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Geheimnissen in dieser Stadt, im Languedoc, in Paris und im ganzen Königreich,
omnium consensu
, als der erste Mann meiner Kunst geschätzt …«
Meister Sanche reckte sein Stöckchen himmelan und gefiel sich in seinem Ruhm, blähte die Brust, ließ seinen Kamm schwellen, spreizte wie ein Pfau das Gefieder. Samson in seiner engelhaften Einfalt war geblendet; ich dagegen, nach außen hin zwar lieb und fügsam, gab mich in meinem Innersten etwas widersetzlich und trotzig.
Doch zu Unrecht, denn wie prahlerisch Meister Sanche sich auch geben mochte, sein guter Ruf reichte wirklich bis zum König in seinem Louvre, wie ich noch selbigen Tags von Fogacer erfuhr. Zwei Jahre zuvor, 1564, hatten Katharina von Medici und Karl IX. auf ihrer Rundreise durch das Königreich bei ihrem kurzen Verweil in Montpellier die berühmte Apotheke aufgesucht und deren Kuriositäten besichtigt, so großes Vertrauen und so große Verehrung hegen die Menschen für die Medizinen, davon sie sich Heilung ihrer Leiden versprechen und vielleicht Abwehr des Todes.
Ja, freilich, das Apothekenwesen war zu Zeiten meines Großvaters noch nicht so erfolgreich und nicht so ernst zu nehmen wie heute«, fuhr der hochrühmliche Meister fort. »Viele Heilmittel damals beruhten eher auf Aberglauben und Quacksalberei denn auf gelehrtem Wissen. Um den Blutfluß einer frischen Wunde zu stillen, war man geheißen, den kleinen Finger des Patienten mit einem roten Senkel abzuschnüren, der den Hosenschlitzeines Jungvermählten schloß. Eine Frau, wenn ihr Kind entwöhnt war, sollte, damit ihre Milch versiege, an drei aufeinanderfolgenden Morgen über die Salbei eines priesterlichen Gartens hüpfen. Um von der Gelbsucht zu genesen, mußte der Betroffene einen auf einem Haus sprießenden Wegerich suchen und ihn morgens wie abends bepissen, bis die Pflanze einging und mit ihr die Gelbsucht.«
Die Hände auf seinem dicken Wanst, lachte Meister Sanche wonniglich über diese rituellen Heilvorschriften. Wir lachten ebenfalls, und gar auch die beiden geschäftig arbeitenden Gehilfen gestatteten sich ein Lächeln; mochten sie auch stumm sein, verstanden sie doch sehr gut, was gesagt wurde.
Nun wandte sich Meister Sanche an mich.
»Eure an meine Gehilfen gerichtete Frage, lieber Neffe, will ich gern beantworten. Hier in diesem Mörser wird das arthanita zubereitet. Es enthält als Grundsubstanz einen Saubrotsaft, dazu einundzwanzig pflanzliche Ingredienzien: Säfte, Fruchtfleisch, Harze, Rinden und Samen. Das ergibt eine wirksame Salbe zu vielfältigem Gebrauch.«
Nun vergaß Meister Sanche, der nicht Arzt war, daß er uns eigentlich vorenthalten wollte, zu welchen Heilungen diese Mittel verschrieben wurden, er fuhrt fort:
»Das
arthanita
ist ein Einreibemittel, und je nachdem, an welche Stelle aufgebracht, ist die Wirkung unterschiedlich. Auf den Bauchnabel gestrichen, beseitigt es die Darmwürmer, auf dem Bauch purgiert es, auf dem Magen reizt es zum Erbrechen, auf der Blase fördert es den Harnfluß.«
Als ich die Wunderwirkungen dieses Universalheilmittels vernahm, kam mir, gestehe ich, der Zweifel, ob das
arthanita
viel wirksamer sei als der Senkel eines Jungvermählten; doch so überwältigt war ich von der Aufschneiderei des großen Apothekers (wollte auch nicht einen so liebenswerten Gastgeber vor den Kopf stoßen), daß ich unschuldhaft sagte:
»Ist es denn nicht wundersam, hochrühmlicher Meister, daß ein und dieselbe Salbe so unterschiedliche Wirkungen zeigt?«
»Das verdankt sie dem Zusammenwirken der verschiedenen Säfte«, erklärte der Meister ernst. »Getrennt verwertet, hätten sie nicht solche mannigfaltigen Folgen.«
In diesem Moment schellte zweimal die Glocke, die zum Mahle rief, und Meister Sanche sprach:
»Gehen wir essen, meine lieben Neffen. Das muß sein, und gälte es nur die Venen und Arterien des Leibes zu füllen und sie dadurch gegen Ansteckung aus der Luft zu schirmen. Doch wollen wir sie nicht durch Völlerei vollends verstopfen, sonst wird das Gehirn träge und schwach.
Impletus venter non vult studere libenter.
1 «
Er nahm meinen lieben Samson beim Arm, in jäher Anwandlung von rührender Zuneigung, und zerrte ihn zur Tür, dabei ich ihm auf den Fersen folgte und ihn fragte:
»Wann, hochrühmlicher Meister, speisen Eure Gehilfen?«
»Wenn mein Bauch gefüllt ist, löse ich sie ab,
ego ipse magister Gabrielus Sanchus Dominus Montoliveti
2 , damit ich mein Auge auf den im Gange befindlichen Kochereien und Sublimationen habe.
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