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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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beschäftigt, kümmerten ihn die Fleischhäppchen, die ihm der Löffel in den Schlund führte, herzlich wenig; ich glaube gar, er merkte nicht, was er da aß.
    Er stellte Fogacer zu jedem Patienten und zu jeglichem Leiden ungezählte Fragen und verstieg sich bis in widerliche Einzelheiten, die mir, wäre ich nicht Medizinschüler gewesen, über der Suppe glatt den Magen umgedreht hätten.
    »Und der Kot, Fogacer, der Kot, wie war er beschaffen?«
    »Grünlich in der Farbe, breiig in der Konsistenz, und gestunken hat er zum Erbrechen.«
    »Haha! das hätt ich schwören können!« rief Meister Sanche und rieb sich zufrieden die Hände. »Und was habt Ihr verschrieben?«
    »Diät.«
    »Bene! Bene!«
    Obwohl ich seinen Worten, wie es meinem künftigen Beruf zukam, aufmerksam das Ohr lieh, schielte ich doch hin und wieder seitwärts, auf Typhème, von der ich nur das Profil sah, und auch dieses halb verdeckt von ihrem prachtvoll wallenden Haar, das so schwarz und so bläulich schillerte wie das Gefieder eines Raben. Doch was ich von den Gesichtszügen einfing, war höchster Liebreiz, war Verzücken, war edelste Rasse.
    Und wie gesittet sie aß! Ihr Holzlöffel mit Kupferstiel schöpfte immer nur wenig Suppe, und so geübt führte sie ihn zum Mund, daß kein Tropfen auf den Tisch fiel oder auf ihrMieder, das der Busen prall vorwölbte. Wollte sie trinken, wischte sie sich zuvor mit einem Spitzentüchlein artig die Lippen ab und hinterließ nicht die mindeste Fettspur auf dem Glasrand – sie benutzte ein farbig bemaltes Glas, keinen Becher wie wir. Schön anzusehen auch ihr Teller: er war aus Zinn gearbeitet und trug ihre Initialen. War die Suppe aufgelöffelt, wischte sie den Tellerboden gefühlvoll mit einem Happen Brot blank, aber bestimmt nicht, damit nichts verkäme, sondern um dem Metall Reinheit und Glanz wiederzugeben. Sie trug keine Halskrause, ihre schlichte Morgenrobe war von schmuckem Blaßblau. Sehr gerade saß sie auf ihrem Schemel; in der Taille war sie schlank, doch ab da weiteten sich ihre Fleischesformen zu köstlichen Rundungen.
    So musterte ich sie insgeheim und lauschte gleichzeitig ihrem Vater und Fogacer, ein Beweis, daß Auge und Ohr ungemindert ihr jeweiliges Amt bestreiten können und das Hirn sich zu teilen vermag in zwei unterschiedliche Gedanken, die paarig einherlaufen, der eine mit der unsäglichen Schönheit des maranischen Fräuleins befaßt, der andere mit Furunkel, Diarrhöe, Entzündungen, Fieberanfällen, merkwürdigem Urin und gewaltigem Brechreiz.
    Nachdem der hochrühmliche Meister den Bakkalaureus gehörig ausgepreßt hatte, wandte er sich wieder seinen »lieben Neffen« zu und unternahm es, da wir reformierten Glaubens waren, unsere Bibelkenntnisse zu prüfen. Er stellte uns im Wechsel eigenartige und schwierige Fragen, auf die wir manchmal kaum Antwort wußten. Meinem lieben Bruder kam er mit der Frage:
    »Samson, welche Farbe hatte Davids Haar?«
    Samson schaute verdutzt; nach kurzer Pause antwortete er, vor Scham errötend:
    »Ich wüßte es nicht zu sagen, hochrühmlicher Meister.«
    »Und Ihr, Herr Medizinscholar, wißt Ihr es?«
    »Ehrlich gesagt, nein.«
    Meister Sanche musterte uns einen um den anderen, und nach einer Pause, in der er uns Muße ließ, seine Gelehrtenweisheit und unser beschämendes Unwissen zu ermessen, sprach er:
    »Rötlich war es. Von David heißt es im ersten Buch Samuel, Kapitel 16, Vers 12: ›Und er war rötlich, hatte schöne Augenund eine prächtige Gestalt.‹« Er schaute Samson ganz ernst an. »Eine Beschreibung, die auf Euch zutrifft, mein lieber Neffe. Denn Ihr seid von guter Erscheinung, o ja, das Antlitz sehr schön, die Augen himmelblau, und Euer absalonisches Haar ist von gleicher Farbe wie die Kupferschalen meiner Waagen. David hättet Ihr heißen sollen, nicht Samson, denn Samson ließ sich betören von einem trügerischen Weib.«
    Hierauf Samson – vielleicht etwas verdrossen darüber, daß jemand den guten Sinn des Barons von Mespech in Zweifel zog, oder bei dem jähen Gedanken, daß Dame Gertrude du Luc eines Tages seine Dalila sein könnte (eine Rolle, die dieser guten und lieben Frau wohl wenig anstand) – puterrot anlief, den Tränen nahe. Er schaute Meister Sanche wie einen Vater an, aus seinem Blick laß man Achtung, Bewunderung, Liebe, doch andeutungsweise auch eine Frage, so als wollte er beim Meister erkunden, ob diesem gestattet sei, ihn umzutaufen und also von den Tücken der Weiber zu befreien. Samson betrachtend und

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