In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
gewaschen waren, stellte Meister Sanche sein Stöckchen gegen die Wand und sprach, ohne die Hände zu falten, eine Art benedicite, von dem ich kein Wort verstand, da in einer Sprache gesprochen, die nicht das Französische, nicht das Latein, nicht das Okzitanische, nicht das Spanische und auch nicht Griechisch war (von dem ich ein klein bißchen Ahnung habe). Und gar wundersam: indessen der Meister sprach, drehte er sich um die eigene Achse, wandte das Gesicht der Wand zu (hierin nachgeahmt von Typhème und Balsa, nicht aber von Luc) und begann den Kopf zu wiegen, nach vorn und hinten, das Gebet eher singend denn sprechend.
Dann wandte er sich wieder dem Tisch zu und sprach:
»Im Namen des Herrn Adonai, amen.«
Hierauf Luc leise, aber vernehmlich hinzufügte:
»Und des Sohnes und des Heiligen Geistes, amen.«
Worte, die der Meister anscheinend nicht zur Kenntnis nahm, sowenig wie das heimliche Kreuzeszeichen, das sein Sohn ihnen folgen ließ. Mit einigem Verzug tat ich es Luc nach, mir wiederum folgten Samson und Miroul, jedoch nicht Fogacer, der geschlossenen Auges still dastand.
»Setzen wir uns«, sprach Meister Sanche, in die Hände klatschend. Und wir taten wie geheißen. Ich allerdings wunderte mich sehr über dieses seltsame
benedicite
, in der mir unbekannten Sprache so merkwürdig hergesagt, mit dem Gesicht zur Wand, dabei der Meister, ohne sich zu bekreuzigen, nur den Herrn Adonai angerufen hatte, nicht aber Sohn und Heiligen Geist.
Mitten unter so viel Verwunderung teilte Fontanette einem jeden die Suppe aus, in die ich mißtrauisch meinen Löffel tauchte.
»Hochrühmlicher Meister«, sprach da Samson und schaute den Apotheker mit einer Verzückung an, die mich hätte eifersüchtig machen können, wäre ich von Natur einem so kleinlichen Gefühl zugetan, »was ist denn jenes Montolivet, dessen Besitzer Ihr seid?«
»Ein Landstück, das ich erworben habe«, erwiderte Meister Sanche bescheiden. »Groß und schön genug, daß ich seinen Namen tragen und mich Monsieur de Montolivet nennen kann, so wie sich mein Freund, Doktor Salomon, Monsieur d’Assas titulieren läßt, nach dem Namen seines kleinen Landgutes. Ich tadle ihn nicht, bin selbst aber zu stolz auf meinen Namen und meine Herkunft, als daß ich sie mehr als nötig verhüllen möchte, nur um in diesem Königreich Frieden zu haben. Ein
anusim
1 zu sein genügt ja wohl«, fügte er leise hinzu und erregte ob dieses Wortes bei mir Verwunderung. »Mein Land und mein Landhaus, lieber Neffe«, fuhr er, an Samson gewandt, fort, »befinden sich westlich jenes traurigen Galgens, den Ihr gesehen, und nächst dem Landgut von Herrn Pécoul, der in der Rue de l’Espazerie ein blühendes Ladengeschäft unterhält, dort Degen, Langdolche und Messer verkauft, mit denen sich des Königs brave Untertanen in unseren Bürgerkriegen gegenseitig die Gurgeln durchschneiden.«
»Herrn Pécoul habe ich unterwegs gesprochen«, sagte ich.
»Weiß ich«, sagte Meister Sanche, als hätte er schon vor dem Ereignis davon Kenntnis gehabt. »Mein Acker auf Montolivet bringt mir genügend Korn ein für eigenes Brot, Oliven für mein Öl und den Krätzer, den wir trinken. Doch da wächst auch ein schmackhafter Wein, der mir meine Tafeltraube liefert. Wenn es soweit ist, nehme ich Euren lieben Bruder und Euch zum Olivenpflücken und zur Weinlese mit.«
Mich verzückte dieses Versprechen, so sehr fehlte mir bereits meine weite Feldflur; ich war es nicht gewohnt, in Mauern eingeschlossen zu leben, in den faden Gerüchen der Städte, beraubt des heiteren Anblicks der Hügel und Täler meiner Kindheit. Während Meister Sanche mit seinem Sohn sprach, raunte Fogacer mir zu:
»Eßt viel Brot. Die Suppe ist das einzige Gericht.«
»Was! kein Fleisch?«
»Nur das, was da schwimmt, sonst nichts.«
Verdammt! ich würde an diesem Ort zu einem Nichts schrumpfen, wenn ich mich nur vom Wissen nährte.
»Herr Bakkalaureus Fogacer, berichtet mir bitte von den Kranken, die Ihr heute morgen in Vertretung von Doktor Rondelet aufgesucht habt«, sagte Meister Sanche.
Möge der Leser nicht glauben, daß in diesem Hause das Tischgespräch nach jedermanns Belieben vonstatten ging, o nein! Meister Sanche nutzte auch die Essenszeit zum Studieren und Dozieren. In seinem unersättlichen Wissenshunger hatte er noch für die geringste Neuigkeit ein Ohr und fügte das Vernommene dem Sammelgut seines Gedächtnisses bei zu späterer genüßlicher Wiederverwendung. Solcherweise leidenschaftsvoll
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