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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Zimmer und rannte mit verstörtem Gesicht in die Apotheke.
    Miroul folgte ihm auf mein Geheiß, bekam aber nicht Zutritt, mein armer Bruder hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen und lag unter herzerweichendem Stöhnen auf seinem Lager. Hierauf Miroul in mein Zimmer wechselte, wo er, seine Viole zupfend, ein Wiegenlied unserer Barberine sang, um seinen Herrn zu trösten.
    Ich selbst hätte mich der Verzweiflung der armen Dame Gertrude ebenfalls gern entzogen, doch nach Samsons Flucht stieß sie einen lauten Schrei aus, warf sich in meine Arme und sprach mit einer so beklagenswerten Stimme, daß es mir die Kehle zuschnürte:
    »Ach, Monsieur! Mein Bruder! Ich flehe Euch an, verlaßt mich nicht, damit ich nicht alles von ihm gleich verliere! Bleibt eine Minute noch bei mir, Ihr, die Ihr ihm ebenso zugetan seid, wie ich ihm zu eigen bin, denn ich weiß, mit welch großer Liebe Ihr über meinen schönen Engel wacht und ihm die irdischen Wege entwirrt. Mein Samson (in seiner himmlischen Schlichtheit) hat mir alles gesagt, die Ängste nicht verhehlt, die ihn ob seiner großen Sünde quälen, und wie Ihr sie zerstreut habt. Möge der Himmel (soweit ich ihn hier zu nennen wage) es Euch danken. Und wenn der Himmel nicht, so will ich arme Sünderin es tun; aber kann sündigen, wer so innig liebt und alles hergeben möchte an Herz, an Leib und Gütern?«
    »Madame, ich bitte Euch, eifern wir nicht hierüber. Geben wir uns in Gottes Hand. Er ist gütig. Und könnte seine Güte in eins gehen mit den grausamen Züchtigungen, denen wir hienieden in den kurzen Augenblicken unseres Glücks ausgesetzt sind?«
    »Pierre, wie gern lasse ich mich von Euch überzeugen! Doch wenn ich erst fort bin aus Montpellier, werdet Ihr Samson dann nicht überzeugen, daß es seiner Gesundheit dienlich wäre, wenn er seine Seufzer einem Mädchen vor die Füße trägt, das jünger ist als ich (wiewohl ich freilich nicht so alt bin, daß ich die Mutter meines Samson sein könnte)? Ich habe sehr wohl die zärtlichen Blicke bemerkt, die diese kleine Viper Azaïs ihm zuwirft.«
    »Azaïs, Madame! Alle Frauen, die Gott erschuf, lägen meinem Samson zu Füßen, wenn er nur wollte! Doch Euch allein liebt er und wird er immer lieben, das schwöre ich Euch feierlich.«
    »Ach, Monsieur!« rief sie, umarmte mich abermals und bedeckte mein Gesicht mit Küssen, die vielleicht nicht ganz harmlos waren, »Ihr nehmt mir eine schwere Last vom Herzen!« Mit einem Blick, der mein Herz durchbohrte, fügte sie hinzu: »Ich liebe Euch wie einen Bruder und noch viel mehr! Ich flehe Euch an, wacht mir gut über meinen lieben Samson und schreibt mir, wenn er es nicht selber tut – denn er hat, sagt er, eine träge Feder –, nach Rom, wie es um ihn steht und wie er sich führt, ich wäre Euch dafür unendlich dankbar.«
    Ich versprach es ihr, und sie küßte mich so zärtlich und glutvoll, daß ich, nachdem sie endlich gegangen war, auf einen Schemel niedersank und reichlich Tränen vergoß.
    »Auch du in Tränen aufgelöst?« fragte die eintretende Thomassine. »Hat diese stämmige Normannenmaid meine hübschen Perigurdiner in Quellflüsse verwandelt? Mein Pierre, hast auch du dich in ihrem Netz verfangen?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Oder sie sich in deinem? Eine Woge, die gegen den Fels anbrandet, überspült leicht auch den Nachbarfels. Mein Pierre, die Frauen sind unberechenbar wie Wind und Sturm.«
    Und da ich nur stumm zu Boden blickte, sagte die Thomassine mit einem Lächeln:
    »Da seh ich dich nun in großem Schmerz. Aber weißt du nicht, Pierre de Siorac, daß die Seele durch den Körper Heilung erfahren kann? Komm, Pierre, laß dir von mir Fürsorge angedeihen …« Sie schnürte ihr Mieder auf, wie es mir von Barberine her in Erinnerung war. »Ich habe ein gutes Heilmittel gegen die Melancholie.«
    Und wirklich, von all den Arzneien, die unser Meister Rondelet in seinem
Methodus ad curandorum omnium morborum
außer acht ließ, ist jenes das wohlfeilste, verläßlichste und köstlichste. Denn aus Thomassines Armen erhob ich mich vollständig genesen, wie der Riese Antäus nach seiner Berührung mit der Göttin Erde, deren Sohn er war. So mag man mir denn glauben, daß ich ein Sohn der Erde bin und irdischer Weiber wie Barberine und Thomassine, deren Milch von göttlicher Güte mich zeit meines Lebens genährt hat.
    Doch es verstrich ein Monat, ehe es mir gelang, meinen Samson ein wenig zu trösten, auf den mein spezielles Heilmittel nicht die mindeste Wirkung

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