In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Grimassen, da Dame Rachel kein Auge von ihr ließ.
Nachdem Fontanette sich in die Spülkammer zurückgezogen hatte, sprach Meister Sanche, mit dem Gesicht zur Wand, in seinem Hebräisch das
benedicite
, den Kopf ritusgemäß von hinten nach vorn wiegend, und wandte sich uns wieder zu bei den Worten:
»Im Namen des Herrn Adonai, amen.«
Hierauf Luc, mit zugeschnürter Kehle, da ihm die große Verwirrung seines Vaters nicht entgangen war, tonlos:
»Und des Sohnes und des Heiligen Geistes, amen.«
Diesmal aber, anstatt uns zum Sitzen einzuladen und selber Platz zu nehmen, blieb Meister Sanche stehen, griff widerstrebend nach dem Blatt Papier, faltete es auseinander mit zittrigen Fingern und hob matt zu sprechen an:
»Herr Bakkalaureus Fogacer! Meine lieben Neffen! Meine braven Kinder, und Ihr, meine Frau Gemahlin! Bekümmert seht Ihr mich, der ich Euch diesen traurigen Brief zu Gehör bringen muß, und Bekümmernis steht Euch bevor, die Ihr ihn vernehmen müßt. Doch ich werde ihn Euch nicht vorlesen. Dazu fehlt mir der Mut. Es genügt, Euch seinen Inhalt zu sagen.«
Tränen rannen ihm aus den Augen, doch dann fuhr er mit festerer Stimme fort:
»Der Brief stammt aus der Feder meines hochgelehrten Freundes, des Juristen Coras aus Réalmont im Albigenser Land. Er studierte in Montpellier die Rechte, während ich hier zur gleichen Zeit das Apothekenwesen und Kanzler Rondelet die Medizin studierte.«
»Rondelet!« rief Fogacer erschrocken. »Geht es um Rondelet?«
»Lest, Fogacer, lest Ihr! Ich könnte ohnehin nicht weitersprechen«, sagte Meister Sanche, jäh hinfällig.
Er reichte ihm den Brief, sank auf seinen Schemel nieder und zupfte sich mit den zittrigen Händen den Bart.
Fogacer überflog stumm den in Latein abgefaßten Brief. Unterdessen war mein lieber Samson des großen Kummers von Meister Sanche gewahr geworden, trat an den Apotheker heran und legte ihm die Hand auf die Schulter, dabei der Meister diesen Gottesengel dankbar gewähren ließ, denn er legte seine Hand obenauf und hielt ein im Bartzupfen. Auch Luc trat nah an den Vater heran, wagte ihn jedoch nicht zu berühren. Typhèmefing an zu weinen, als sie Meister Sanche in so großer innerer Erregung sah, dagegen Dame Rachel, die sich selbst genügte, stumm und gelassen dasaß, das Auge so trocken wie der glänzende Achat, aus dem es gemeißelt war.
»Dies hier teilt Maître Coras uns mit«, meldete sich endlich Fogacer mit matter Stimme und trauriger Miene. »Ich lese nicht vor, ich fasse nur zusammen: Wie leider zu erwarten, wurde Kanzler Rondelet von seinem Leiden arg gepeinigt, sowohl während seines Ritts über Berg und Tal bis Toulouse als auch während seines Aufenthalts in selbiger Stadt, wo drückende Hitze ihn erwartete und seine Unterredungen mit den Gesetzeskundigen – in Angelegenheiten seiner Schwäger – ihn übermäßig erschöpften. Gerade hatte er die Konsultationen abgeschlossen und wollte endlich ausruhen, als er von Coras, dem die Erkrankung seines Freundes nicht bekannt war, einen Brief erhielt, darin ihn der Jurist flehentlich bat, nach Réalmont zu eilen und seine plötzlich erkrankte Frau zu behandeln. Obwohl sein Zustand sich sehr verschlimmert hatte, entschied Rondelet – gegen die Einwände der Schwäger und trotz hohen Fiebers –, noch selbigen Morgens nach Réalmont zu reiten. Zu Pferde benötigt man von Toulouse bis Réalmont einen ganzen Tag. Rondelet brauchte deren zwei, unter Schmerzen schleppte er sich von Herberge zu Herberge. In Réalmont hatte er noch die Kraft, das Weib des Coras zu untersuchen, den Grund ihrer Erkrankung festzustellen und ein Mittel zu verschreiben, das ihr Genesung brachte. Kaum war sie auf den Beinen, sank er selbst auf das Krankenlager nieder, von dem er sich nicht mehr erheben sollte. Da er für sich keine Hoffnung mehr sah, verweigerte er jede Arzenei, diktierte einem Notar eine Verfügung über seine irdischen Dinge und verwandte die letzten Stunden darauf, seinen Frieden mit Gott zu machen. Am 20sten Juli ist er gestorben.«
Als Fogacer geendet hatte, bedeutete uns Meister Sanche mit einem Wink, Platz zu nehmen, und sprach, ohne sich zu erheben, mit leiser, zager Stimme, die nur mühsam durch seine Kehle drängte:
»So hat nun dieser große Arzt, weil er sich für die Kranken aufgeopfert, seine Seele Gott übereignet, in seinem Tode so vorbildhaft, wie er es im Leben gewesen. Kurz war sein Leben, doch es hat sich nicht erschöpft. Die Gedanken dieses Mannesvon
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