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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Brombeer-Port-Sauce. Einen guten Appetit
wünsche ich den Herren!«
    Julius’ erster Griff im Wagen galt dem Handy. Er wollte
keine Zeit damit verschwenden, den Gurt anzulegen, das Auto zu starten und sich
auf den Heimweg zu machen. Es war schwer genug gewesen, das Mittagessen
durchzustehen, ohne sich die in seinem Kopf bohrenden Fragen anmerken zu lassen.
Bevor sich die zurzeit drängendste davon tiefer in Julius’ Hirn fressen konnte,
wählte er die rettende Nummer. Die Besitzerin der Zahlenkombination nahm den
Hörer ab.
    »Schultze-Nögel.«
    »Hallo Gisela, hier ist Julius, vielleicht solltest du dich besser
setzen!«
    »Ich sitze.«
    »Weißt du, dass August den Verkauf von Siggis Weinen an seine
eigenen koppelt?«
    »Du meinst, man bekommt unsere Flaschen nur, wenn man auch welche
von der Porzermühle nimmt?«
    »Genau.«
    »Wer sagt so etwas?«
    »Antoine Carême vom ›Frais Löhndorf‹. Er ist stinksauer, zu Recht!«
    Es war Julius unangenehm, der Überbringer dieser schlechten
Nachricht zu sein. Aber einer musste es tun, und dafür waren Freunde
schließlich da.
    »Der soll sich ruhig aufregen! Geschieht ihm recht!«
    Julius verarbeitete die sperrige Information nur langsam. Hatte er
sich verhört?
    »Es stört dich nicht?«
    »Warum sollte es? August hat mich doch gefragt, ob das in Ordnung
ist.«
    » Wie bitte ?«
    »Antoine hat die ganzen letzten Jahre versucht, unsere Weine zu
bekommen. Aber Siggi wollte das nicht, konnte ihn nicht leiden, du
kennst …«, Gisela korrigierte sich, als sie merkte, was sie gesagt hatte,
»du kanntest ihn ja. Antoine hat dann angefangen, über unsere Weine zu lästern.
Und jetzt, wo Siggi unter der Erde ist, denkt er, seine Zeit sei gekommen. So nicht! August hatte wohl auch Ärger mit ihm, dessen
Weine wollte er nie auf die Karte nehmen. So was Hochnäsiges!«
    Julius merkte, dass sein Mund trocken geworden war. Dermaßen
nachtragend kannte er Gisela gar nicht.
    »Aber es wirft ein schlechtes Licht …«
    »Julius, es ist mir herzlich egal, was für ein Licht das auf das
Weingut wirft. Sollen die Leute doch erzählen, was sie wollen! Unsere Weine
kaufen sie zum Schluss doch. Ich muss hier weitermachen. – Und noch was:
Es war nicht nötig, der Polizei zu erzählen, dass die Familie dich um Hilfe
gebeten hat. Die kulinarische Detektei ! Das ist doch
kein Spiel, Julius. Ich dachte, du wüsstest das.«
    Die Uhren in Marienthal waren zurückgedreht worden, bis
Stunden, Tage, Wochen, Jahre und Jahrzehnte vergangen, oder besser, niemals
geschehen waren. Bis zu einer Zeit, als Menschen noch an Pocken starben und
glaubten, am Rand der Welt fiele man herunter. Die Marienthaler Klosterruine
war in die Zeit der Gilden und Zünfte zurücktransportiert worden. Die Fackeln
an den kahlen, teils mit Moos bewachsenen Steinwänden kündeten von einer
Versammlung unter dem dunklen Sternenhimmel. Das Dach des ehemaligen
Gotteshauses war von der Zeit abgetragen worden, bis die Wände nur noch das
dunkle Firmament stützten. Der Wind zog kalt durch das Gemäuer, ruhelos wie ein
alter Bär auf der Suche nach einer Höhle für den Winterschlaf.
    Die Menschen im Inneren der Ruine waren kaum zu erkennen. In dunkle
Anzüge gekleidet, wurden nur ihre Gesichter spärlich von den flackernden
Flammen erhellt. Am Platz, wo vor Jahrhunderten der Altar gestanden hatte, war
nun ein großer Tisch, über den dunkler Stoff bis zum Boden hing. Dahinter
standen die Hohepriester der heutigen Nacht, die Diener des Weines. Die
obersten drei der Ahrtaler Weinbruderschaft von 1682  A.D. , in würdevolle blaurote Robe gekleidet und mit
Kopfbedeckungen, die aussahen wie brokatverzierte Kissen. Der Mann in der Mitte
trug eine schwer wirkende Metallkette um den Hals, die aus achteckigen Gliedern
bestand. Sie glühte wie frisch geschmiedetes Eisen im Fackelschein.
    Es war ruhig. Unheimlich ruhig, in Anbetracht der vielen im Inneren
stehenden Männer. Keiner sprach. Keiner traute sich zu sprechen, dachte Julius.
Aber alle schauten. Alle blickten zu dem Neuen, der heute in die Reihen der
Weinbrüder aufgenommen werden sollte. Julius spürte die abwägenden Blicke
förmlich auf der Haut, wie prüfende Griffe eines Arztes. Er fürchtete sich vor
dem, was ihm bevorstand, wusste er doch nicht, was es war. Herold hatte von
einer Initiation gesprochen. Das klang nach Ritual, klang nach Prüfung, klang
auch nach Blut.
    Julius spürte, wie Ohren und Nase erkalteten, wie das Blut sich
weigerte, in die dem Wind ausgesetzten

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