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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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es sogar beim
Sprechen. Und Erika Salbach machte es mit großem Enthusiasmus.
    Julius fiel etwas auf.
    Und seine Laune änderte sich schlagartig.
    Es gab also doch noch positive Wendungen für ihn!
    Er freute sich nun auf das Ende der Messe, konnte es kaum abwarten.
    Pfarrer und Messdiener marschierten ein. Das Spektakel begann.
Julius betrachtete jeden Gottesdienst als Theaterauftritt, mit genau
festgelegten Rollen. Und seine Sippe liebte die Theaterkritik. Wenn neue
Pfarrer oder Kapläne kamen, wurden sie danach bewertet, wie ihnen das
liturgische Gewand stand, ob sie eine sympathische Ausstrahlung hatten, eine
schöne Stimme, nett predigen konnten und insgesamt für eine gelungene Messe
sorgten. Um ihre Interpretation der Bibel ging es nicht. Neben der
Theaterkritik gab es für die Sippe einen weiteren wichtigen Grund für den
Kirchenbesuch, und als Julius sich in der Bankreihe umblickte, war nicht zu
übersehen, dass ein Großteil der Anwesenden dies genauso sah. Die Damen nutzten
die Chance, ihre gute Garderobe – zurzeit waren Pelzmäntel en vogue –
Gassi zu führen und die Herren der Schöpfung mal wieder in die Sonntagsanzüge
zu quetschen. Julius schmunzelte, er fand das sympathisch. Das Nötige wurde mit
dem Angenehmen verbunden. Ganz pragmatisch. Wenn man schon in die Kirche
musste, konnte man den Nachbarn wenigstens zeigen, was man zu bieten hatte.
    Der Pfarrer lieferte eine gute Vorstellung. Er predigte über den
zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die Szene war auch in einem der prächtigen
Rosenkranzbilder dargestellt: »Das Kind wuchs heran … nach drei Tagen
fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern.« (Lk 2,40). Der Pfarrer
referierte darüber, dass man, um von den Kindern lernen zu können, nur ein
offenes Ohr bräuchte. Da hatte er tatsächlich Recht, dachte Julius. Ein offenes
Ohr konnte der Schlüssel zu wichtigen Antworten sein. Wie lang dauerte die
Messe noch?
    Endlich kamen Kommunion und Schluss-Segen.
    »Gehet hin in Frieden!«
    »Dank sei Gott dem Herrn!«
    Die Gemeinde begab sich in christlichem Schneckentempo zum Ausgang,
um draußen über Mäntel, Frisuren und zugelegte Pfunde klönen zu können.
    Julius blieb.
    Dann war die Kirche leer.
    Die Zeit war gekommen, um in die Sakristei zu gehen. Er fand
Pastoralreferentin und Pfarrer in ein Gespräch vertieft. Sie bemerkten Julius
erst spät. Dann sahen sie ihn überrascht an.
    Ein Blick genügte.
    Hektisch verabschiedete sich Erika Salbach vom Seelsorger, nahm
Julius am Arm und ging mit ihm hinaus auf den seitlichen Kirchenvorplatz. Es
war mittlerweile dunkel geworden. Nur die nahen Straßenlaternen erhellten die
Szene.
    »Wie haben Sie es rausgefunden?«
    »Ihr rheinischer Singsang war einfach zu schön.«
    Die anonyme Anruferin wurde sich der Konsequenzen ihrer Entlarvung
klar.
    »Werden Sie es der Polizei …?«
    »Selbstverständlich.«
    » Bitte nicht , wenn das rauskommt! Wenn die
Affäre bekannt wird, dann …« Die schmalen Ärmchen an sich gedrückt, wirkte
sie wie ein Vogel, dem man die Flügel ausgerissen hatte.
    »Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen. Und erwarten Sie bloß
kein Mitleid von mir! Sie haben Gisela angeschwärzt, wollten ihr den Mord
anhängen!«
    Erika Salbachs Gesicht zeigte nun eine Entschlossenheit, die Julius
nur aus den Augen von olympischen Kugelstoßerinnen kannte.
    »Sie war es! Sie hat mir Siggi weggenommen!«
    »Welche Beweise haben Sie denn dafür? Die Sache mit der Scheidung
und dem Anwaltstermin können Sie vergessen, die hab ich überprüft.«
    »Sie lügen! Der Siggi wollte sich trennen. Das hat er mir immer
wieder gesagt. Und die Gisela hat ja schon mal versucht, ihn umzubringen!«
    Julius kam eine Idee.
    »Stimmt, dafür haben Sie der Polizei sogar eine Zeugin genannt: sich
selbst!«
    »Woher …?«
    Julius triumphierte innerlich. Das war, dachte er sich, brillant
kombiniert. Es war eigentlich nur ein kurzer geistiger Schluckauf gewesen, dass
die Anruferin sich selbst als Zeugin benannt hatte, ohne die Maske der
Anonymität fallen zu lassen.
    »Ich weiß es halt.«
    »Es ist so gewesen! Ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Ich hätte
sie damals direkt hinterherstoßen sollen!«
    »Das ist alles, was Sie an Beweisen haben?«
    »Reicht das nicht? Sie wollen es einfach
nicht sehen!«
    Liebe machte wohl in vielen Bereichen blind.
    »Wie lange waren Sie eigentlich mit Siggi zusammen?«
    »Fünf Jahre. Fünf wundervolle Jahre.«
    Das Glück dieser Zeit lag in ihren

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