In Vino Veritas
in Person!« Sie lachte laut auf.
Es reichte.
»Den Namen wollen Sie mir wohl nicht sagen?«
»Richtig.«
»Na, das ist ja eine Überraschung! Und bestimmt wollen Sie mir auch
nicht sagen, was die Autopsie am Franzosen ergeben hat.«
Sie kam mit ihrem Gesicht ganz nah an seins. »Doch!«
Erst jetzt wurde Julius klar, was mit von Reuschenberg nicht
stimmte. Oder besser: Was mit ihr stimmte. Sie war euphorisch, im Hochgefühl,
den Fall so gut wie gelöst zu haben, und nicht bereit, etwas von ihrem
exklusiven Wissen abzugeben. Auch nicht an Julius. Oder erst recht nicht. Nur
mit unnützen Infos würde sie rausrücken, also erwartete er nicht viel.
»Ich höre.«
»Er wurde zur gleichen Zeit wie Siegfried Schultze-Nögel getötet.
Plus minus vierundzwanzig Stunden. Unser Pathologe meint aber,
höchstwahrscheinlich am selben Tag. Er hat das mit allerlei ekligen Details
begründet«, sie schüttelte sich, »aber ich will Ihnen als Koch nicht den
Appetit verderben.«
Sie lachte wieder. Julius war nun endgültig klar, dass sie den Punkt
erreicht hatten, an dem sich ihre Wege trennten.
»Das war es dann wohl mit unserer Zusammenarbeit?«
Sie tätschelte Julius auf den Rücken.
»So ist es. Ab jetzt gehen Kochtopf und Pistolenhalfter wieder
getrennte Wege.«
Julius gab sich der gesprächigen Ruhe hin. Dem Fluss aus
Flüstern, der von den hohen Wänden ins Unendliche gespiegelt wurde. Alles wurde
leise und behutsam ausgesprochen. Es fanden sich keine anzüglichen Begriffe,
keine Schimpfworte, keine rohen Gedanken. Es waren makellose, unschuldige
Worte, denn niemand traute sich, den Herrn durch unbedacht Gesagtes zu
erzürnen.
Julius wollte etwas Ruhe finden, abseits sein vom Trubel, an anderes
denken, vielleicht auch ein wenig Hoffnung tanken, Zuversicht finden in den
Worten einer Predigt.
Auf dem Rückweg vom Treffen mit von Reuschenberg war er an der
Rosenkranzkirche vorbeigefahren. Und hatte angehalten. Er sah, wie die Menschen
hineinströmten, und etwas trieb ihn, es ihnen gleichzutun. Da die ›Alte Eiche‹
Ruhetag hatte, würde ihn niemand vermissen. Die Kirche war gut gefüllt. Je
näher die Adventszeit rückte, desto mehr abtrünnige Schäfchen kehrten zur Herde
zurück. Noch waren es einige Wochen hin, aber das Gewissen meldete sich bereits
lautstark zu Wort. Es wollte ins Gotteshaus getragen werden, sich erleichtern.
Julius mochte diese Kirche, sie war eine einzige optische Täuschung.
In großem Maßstab. Ein architektonischer Bluff, der dem eiligen Besucher
verborgen blieb. So fiel das schlicht-moderne äußere Mauerwerk durch die
kleinen Flankentürmchen nicht auf. Im Inneren taten Konsolen mit
Figurenplastiken, Kapitelle mit Fröschen und Greifvögeln oder die prachtvollen
Rosenkranzbilder am Altar alles, um den Besucher nicht merken zu lassen, dass
er sich in einer neuromanischen Kirche aus dem 20. Jahrhundert
befand. Es wurde langsam dunkel. Die Fenster wurden kaum noch durch das
dämmrige Abendlicht erhellt und wirkten wie Augen, die ihren Glanz verloren hatten.
Das Raunen erstarb langsam, denn die Pastoralreferentin kam von der
Sakristei aus zum Altar. Julius hatte sie schon des Öfteren gesehen und kannte
ihren Namen aus den Pfarrmitteilungen. Er schätzte Erika Salbach auf Ende
dreißig, aber damit konnte er auch schwer danebenliegen, denn sie tat
augenscheinlich alles, um älter zu wirken. Sie trug ein graues Kleid. Eine
hellrosa Strickjacke streng darüber. Die farblose Kleidung konnte nicht
verbergen, dass es sich um eine attraktive Frau handelte. Sie begrüßte die
Gläubigen und verlas die Gemeindemitteilungen. Wer in der Woche verstorben war,
wem heute gedacht wurde, wer ein Sechs-Wochen-Amt gelesen bekam oder ein
Jahrgedächtnis. Dann kamen die erfreulichen News:
»Die Wanderung der KFD findet am Elften
statt. Treffpunkt ist der Bahnhof um 14 Uhr 20. Wir fahren mit dem Bus nach Esch/Grafschaft
und besuchen dort die neue Lourdes-Grotte. Interessenten melden sich im
Pfarramt. Eine herzliche Einladung geht an alle Versöhnungskinder zum
Versöhnungstag am Samstag in St. Pius. Zum Schluss noch ein Hinweis zur
Kolpingfamilie: Die Bezirksmitgliederversammlung ist am Donnerstag um 19 Uhr 45 im Pfarrheim.«
Die melodische, rheinische Sprachführung der Pastoralreferentin
gefiel Julius. Diese Eigenheit seiner Landsleute war ihm erst bewusst geworden,
als es ihn während der Ausbildung in nördlichere Gefilde verschlagen hatte.
Rheinländer ließen keine Chance aus zu singen, sie taten
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