In Vino Veritas
es sei ein
wichtiger Termin übersehen worden.«
»Aalglatt … hast du das tragbare Telefon?«
Franz-Xaver zog es aus der Seitentasche und warf es Julius zu.
»Sollen wir alles auf morgen verlegen?«
Julius schüttelte den Kopf und wählte die Nummer. Besetzt. »Sonst
alles klar?«
»Tja, sag du’s mir! Die Küchen weiß noch net, was sie heute Abend
kochen soll. Und meine Leut net, was es zu servieren gilt.«
»Briefing in der Küche. Jetzt!«
Niemand gab einen Mucks von sich. Alle lauschten auf Julius’ Worte.
Er erklärte die Gerichte. Ausführlich. Aber nicht deren Bedeutung. Jeder dachte
sich seinen Teil oder versuchte es zumindest. Nachdem die Restaurantbrigade die
Küche verlassen hatte, wandte er sich an die Köche und bereitete vor ihren
Augen alle Speisen zu. Nur einmal. Doch das genügte. Niemand wagte
nachzufragen. Jeder schien zu fürchten, der unter Hochspannung stehende Chef
könnte einen Kurzschluss bekommen.
Julius füllte die Zeit bis zum Abend mit allem, was er
finden konnte. Er pfuschte jedem, der das Pech hatte, ihm über den Weg zu
laufen, in die Arbeit. Selbst dem Praktikanten brachte er noch einmal
detailliert bei, wie man den Müll richtig zur Tonne
brachte. Nur einer entkam seiner Arbeitswut: der Kellner, den er nach Bad
Neuenahr geschickt hatte, um in einem Elektrofachgeschäft eine Besorgung zu
machen.
Die meiste Zeit verbrachte Julius am Schleifblock. Er schärfte sein
Wüsthof-Messer so lange, bis man damit eines der legendären Schnitzel seiner
Großmutter selig hätte zerschneiden können. Kein menschliches Wesen hatte
jedoch jemals den Wunsch danach verspürt. Unterbrochen wurde diese Arbeit nur
durch wiederholte Griffe nach dem Telefon, meistens um Dr. Bäckers Büro zu
erreichen. Julius führte aber auch ein sehr langes und wenig erfolgreiches
Gespräch mit von Reuschenberg, bis er um sechs Uhr beim Landrat durchkam.
»Büro Dr. Bäcker, Hüttmann-Rosentreter am Apparat, guten Abend.«
»Hier ist Eichendorff, kann ich bitte Herrn Dr. Bäcker sprechen.«
»Herr Dr. Bäcker befindet sich in einer Besprechung.«
»Können Sie mir vielleicht sagen, wie lang die noch dauern wird?«
»Das ist schwer abzusehen. Und danach fährt Herr Dr. Bäcker auch
direkt nach Hause. Am besten, Sie versuchen es morgen früh wieder.«
»Ich muss ihn aber jetzt sprechen.«
»Da kann ich Ihnen leider nicht helfen.«
Bäckers Vorzimmermaschine hatte gesprochen. Wahrscheinlich trat der
alte Strippenzieher im Stadtwald wieder jemandem auf die Füße.
»Vielen herzlichen Dank!« Julius legte
auf. Dann wählte er die Nummer von Herold.
»In Vino Salvatio, August!«
»Ja, dir auch.«
»Du, ich bräuchte schnell mal eine Handy-Nummer von dir.«
»Hat das nicht Zeit bis heute Abend? Da komm ich doch eh zu dir, ich
bin grad wirklich im Brassel.«
»Es muss jetzt sein.«
»Na gut. Was für eine Zahlenkombination schwebt dir denn vor?«
»Die von unserem Landrat.«
»Die Handy-Nummer von Dr. Bäcker, Herrscher über Flora und Fauna?«
»Nun tu nicht so, als ob du die nicht hättest! Es gibt keine
wichtige Nummer im Tal, die nicht in deinem Handy gespeichert ist.«
Herolds Verbindungen waren Legende. Julius spekulierte darauf, dass
der Mythos einen wahren Kern besaß.
»Wer sagt denn so was?«
»Alle.«
»Na, wenn das alle sagen …«
Und er hatte die Nummer.
Und wenige Sekunden später hatte Julius Bäcker am Rohr.
»Hallo?«
»Hallo, Ordensmeister!«
»Julius, was für eine Überraschung!«
Das konnte er sich denken.
»Überraschungen geben dem Leben doch erst die richtige Würze! Mir
ist mitgeteilt worden, du könntest heute Abend nicht?«
»Ja, leider, leider. Ich wäre natürlich sehr gern gekommen, aber der
Terminplan hat mich fest im Griff.«
»Wenn nicht du, wer kann sich dann über einen Terminplan
hinwegsetzen?«
»Dein Wort in Gottes Ohr, Julius! Wenn es doch nur so wäre!«
»Wo geht’s denn hin, wenn ich fragen darf?«
Bäcker stockte. »Eine … persönliche Angelegenheit.«
»Tja, das ist sehr schade. Der heutige Abend wird für die
Weinbruderschaft nämlich große Bedeutung haben. Aber wenn ihr Ordensmeister das
verpassen will …«
»Was redest du von großer Bedeutung? Ich dachte, es wäre nur eine
einfache Feier?!«
»Es gibt eine große Überraschung. Aber
dann wirst du davon eben erst morgen erfahren. Nach all den anderen. Da kann
man nichts machen.«
»Ist das ein Spiel, Julius? Willst du dich für unseren kleinen
Ausflug
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