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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Katjas Nachricht ein, die sie den ganzen Tag durch Arbeit verdrängt hatte: Bertram hatte sich nicht erschossen. Jemand hatte ihn ermordet. Einerseits hatte sie Erleichterung verspürt, dass sie keine Schuld an seinem Tod trug, weil sie ihn im Stich gelassen hatte. Andererseits hatte Entsetzen von ihr Besitz ergriffen. Jemand hatte Bertram umgebracht. Wer? Warum? Katja vermutete, dass er jemanden erpresst hatte.
    Die Bremslichter des Autos vor ihr leuchteten auf. Caroline stoppte. Der Mittlere Ring war wieder einmal dicht, es ging im Schneckentempo voran.
    Bertram ein Erpresser? Sie ertappte sich bei der Überlegung, dass sie ihm das durchaus zutrauen würde, genauso wie den Mord an Vater. Ich bin eine schreckliche Person, dachte sie, illoyal und lieblos. Immer vermute ich nur das Schlechteste. Allerdings hatte Albert am Freitag gesagt, dass es Indizien gegen Bertram gebe. Also trauten ihm auch andere Mord und Erpressung zu. Aber wen konnte er erpresst haben? Er kannte eine Menge Leute aus der Baubranche, und die war bekanntlich korrupt. Vielleicht hatte Bertram diesbezügliche Kenntnisse genutzt.
    Caroline spürte Kopfschmerzen heranziehen. Der Fahrer im Wagen vor ihr hupte, die Ampel schaltete schon wieder auf Rot.
    Nach Katjas Anruf hatte sie mit Gina Angelucci telefoniert. Carolines Einwand, dass Bertram sich niemals kampflos hätte erschießen lassen, hatte sie nicht gelten lassen. Er war betäubt gewesen. Er hatte sich nicht wehren können! Aber wenigstens hatte er nicht mitbekommen, was … Caroline fuhr sich über die Stirn. Hinter ihr hupte es; die Ampel war grün.
    Ihre Familie implodierte, so kam es ihr vor. Wie eine nach innen gerichtete zerstörerische Kraft. Und mit einem Mal hatte sie Angst, dass der Ursprung von alldem in der Familie selbst lag. Vielleicht sogar in ihrem Vater, dem großen Manipulator, dem gehörnten Ehemann, dem Mann, der von der Macht über Frauen besessen gewesen war.
    Caroline überquerte die Kreuzung am Luise-Kiesselbach-Platz. Danach löste sich der Stau wie durch ein Wunder auf. Zehn Minuten später betrat sie ihre Wohnung und fühlte sich alleingelassen. Wenn Marc hier wäre … aber er war bis Donnertag in Budapest.
    Es folgte das abendliche Ritual des Kleiderwechsels. Danach machte Caroline Feuer im Kamin und setzte sichmit einem Glas Wein, einem Schinkenbrot und Mutters Tagebuch davor. Die Stille rauschte in den Ohren. Caroline griff nach der Fernbedienung. Christian Brandenbourgs CD lag noch im Player, sie musste nur eine Taste drücken, und Vivaldis
Vier Jahreszeiten
erklangen.
    Caroline schlug die eingemerkte Seite auf.
Peter ist tot!
Mehr hatte ihre Mutter nicht geschrieben. Aber die folgenden Seiten waren in dichten Zeilen mit der vertrauten Handschrift bedeckt.

    Wir saßen beim Abendessen, als er es erwähnte. Ganz nebenbei. Er schob einen Bissen in den Mund, kaute und schaute mich dabei an. Nie werde ich vergessen, dass es an dem Tag, als Peter starb, als mein Leben aus dem Himmel in die Hölle stürzte, dass es an diesem Tag Sauerbraten und Knödel gab. Er schluckte den Bissen runter, spülte mit Bier nach und sagte: Brandenbourg ist heute
Nachmittag verstorben. Den Rest habe ich nicht mehr mitbekommen. Habe nur seinen Mund gesehen, der sich öffnete und wieder schloss und unverständliche Laute entließ. Ein Soßenfleck am Kinn. Wolfis gestikulierende Hände. Sein Blick, der mich auf den Stuhl nagelte. Zunächst. Aber dann zogen mich seine Hände hoch und ins Schlafzimmer. Er forderte wieder einmal die ehelichen Pflichten ein. Es war ja alles egal.

    Wie bitte! Es war alles egal! Immer war sie passiv, hatte einfach alles geschehen lassen und nie für etwas gekämpft. Leidenschaftslos, blutleer. Hatte das damals angefangen, nach Peters Tod? War ihr seitdem tatsächlich alles egal gewesen? Caroline zog die Füße auf den Sessel. Ihren Tatendrang und Ehrgeiz verdankte sie jedenfalls ihrem Vater.
    Caroline blätterte weiter, fand aber keinen Hinweis darauf, woran Peter gestorben war. War es ein Unfall gewesen? Ihre Mutter war danach zurückgekehrt auf die gerade Straße, auf der ihr Leben, Denken, Handeln und Fühlen verliefen. Jede Markierung am Rande des grauen Asphalts ein Schritt mehr dem Ende entgegen, während sich nebenan Pfade durch verheißungsvolle Wiesen schlängelten, sich verzweigten, ins Ungewisse führten. Wie hatte sie das nur ertragen können, nachdem sie die Straße einmal verlassen hatte?
    Caroline stand auf und ging zum Fenster. Ein schwaches

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