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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Heckeroth verstanden hatte.
    »Gut. Er war eine Art Ersatzopa für sie. Meine Eltern sind schon lange tot, und die Eltern meines Exmannes wohnen in Schwerin. Weshalb wollen Sie das wissen?«
    »Hat er sie auch verwöhnt, wie Großeltern das machen?«
    »Er hat Franziska Nachhilfe gegeben. Ohne ihn wäre sie sitzengeblieben.«
    »Ich dachte eher an Geschenke. Ein Handy oder Markenkleidung. Vielleicht auch Geld.«
    Loretta Kiendel blieb stehen. Mit einer energischen Handbewegung strich sie sich die Locken zurück. »Ihre Fragen gefallen mir nicht. Was wollen Sie da andeuten?«
    Eine Parkbank stand in Sichtweite unter einer beinahe kahlen Kastanie. »Wollen wir uns nicht setzen?«
    Loretta Kiendels Augen funkelten. »Danke. Nein. Falls Sie denken, Herr Heckeroth hätte in Franziska etwas anderes gesehen als ein nettes Mädchen, das seine Enkelin sein könnte, dann bedeutet das nur, dass Sie ihn nicht gekannt haben. Er war ein feiner Mann.«
    Dühnfort überlegte kurz, ob er ihr die Fotos zeigen sollte. Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt und schon gar nicht der passende Ort dafür. Erst wollte er mehr über die Entstehung der Aufnahmen in Erfahrung bringen.
    »Natürlich habe ich ihn nicht gekannt«, sagte er. »Wie geht es Franziska? Hat das Vorlesen geholfen?«
    Loretta Kiendel setzte den Weg fort. Der Asphalt klackerte unter den Absätzen ihrer Stiefel, als sie das Klinikgelände verließen und zur Trambahnhaltestelle gingen. Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich gebe nicht auf. Ich lass nicht locker, bis sie aufwacht.« Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
    »Haben Sie es schon mit Musik versucht?«
    Wieder blieb Franziskas Mutter stehen. »Das wollte ich. Aber ich weiß nicht, was sie gerne hört. Seit sie diesen MP3-Player hat, sind ihre Ohren immer zugestöpselt.«
    »Aber die Musik ist doch auf dem Gerät.«
    »Das ist bei dem Unfall kaputtgegangen.«
    »Hat sie denn keinen Freund, der sich darum kümmern könnte?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber sicher eine beste Freundin?« Die Schultern sanken herab. »Das ist eine gute Idee. Ich könnte Laura fragen.« Sie lächelte Dühnfort an. »Darauf hätte ich schon früher kommen können.«
    »Mit Laura würde ich mich auch gerne unterhalten. Können Sie mir den vollständigen Namen und die Adresse geben?«
    »Wozu?«
    »Das würde ich Ihnen gerne ein anderes Mal erklären. Es ist alles etwas kompliziert.« Dühnfort zog sein Notizbuch aus der Manteltasche und notierte die Angaben, die Franziskas Mutter ihm widerstrebend gab.
    * * *
    Dühnfort fuhr nach Schwabing. Die dunkle Wolkendecke hatte sich in eine lichtgraue Schicht verwandelt. Der Versuch der Sonne, sie zu durchbrechen, befand sich im Stadium des Scheiterns.
    Laura Kemper wohnte mit ihren Eltern am Elisabethplatz. Dühnfort betrat das Jugendstilhaus durch eine zweiflüglige Tür mit farbiger Verglasung. Im Treppenhaus roch es nach Lavendelwachs, den Tritt seiner Schritte auf den Stufen verschluckte ein dicker Läufer, von Messingstangen an Ort und Stelle gehalten. Als Dühnfort vor der Wohnungstür in der vierten Etage ankam, war ihm mehr als nur warm. Er knöpfte den Mantel auf und wartete einen Augenblick, bis er wieder bei Atem war. Dann klingelte er.
    Eine junge Frau mit einem breiten Gesicht und einer robusten Figur öffnete ihm. Sie trug Jeans und einen grauen Pullover, dessen weit auslaufende Ärmel bis zu den Fingerknöcheln reichten. Mit offenem Blick musterte sie ihn. »Sind Sie der Mann von der Polizei? Franzis Mutter hat mich angerufen.«
    Dühnfort nickte. »Ich würde mich gerne über Franziska mit Ihnen unterhalten.«
    »Wegen des Unfalls? Da war ich nicht mit dabei. Ich habe sie an dem Tag überhaupt nicht gesehen.«
    »Darum geht es auch nicht, sondern um den Vermieter. Um Herrn Heckeroth.«
    Das eben noch freundliche Gesicht bekam einen missmutigen Zug. »Ach so.«
    »Kann ich reinkommen?«
    »Ungern.«
    »Es ist wichtig.«
    Sie trat zur Seite, schloss die Tür hinter ihm und ging voran in das Wohnzimmer. Kassettentüren, Fischgrätparkett, stuckverzierte Decken und ein Kronleuchter bildeten die Kulisse für minimalistische Designermöbel. Alt trifft neu. Arm waren die Kempers sicher nicht. Eine teure Hi-Fi-Anlage stand auf einem Sideboard, ein flacher Fernseher hing an der Wand. Laura setzte sich auf ein Ledersofa und zog die Füße unter den Po.
    Er sah sich um. »Ihre Mutter …«
    »Meine Eltern sind in der Arbeit.«
    Dühnfort schlüpfte aus dem Mantel, legte ihn über eine

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