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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Sessellehne und nahm unaufgefordert Platz. Laura wirkte in sich gekehrt, blickte nun aber auf.
    Plötzlich war er sicher, dass sie die Bilder kannte oder wenigstens von ihrer Existenz wusste. Er entschloss sich zur direkten Konfrontation, nahm sie aus der Manteltasche und legte sie vor dem Mädchen auf den Couchtisch. »Deswegen bin ich hier.«
    Sie warf einen Blick darauf, verzog den Mund und schob die Fotografien zurück. »Ja und?«
    »Sie kennen diese Aufnahmen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber Sie wussten davon.«
    Laura zuckte mit den Schultern.
    »Diese Bilder scheinen Sie weder zu überraschen noch zu schockieren.«
    »Schockieren? Solche Fotos können Sie in jeder Zeitung sehen. Alles ist Porno. Die Werbung, die ganze Medienwelt und das Netz sowieso. Schockieren können Sie heute nur noch, wenn Sie Tabus brechen.«
    Eine junge Frau zu entkleiden, zu fesseln und in diesem ausgelieferten Zustand zu fotografieren gehörte also nicht mehr zu den Tabus unserer Gesellschaft. Dühnfort fuhr sich über die Augen. Manchmal fühlte er sich älter, als er war. »Was würde Sie denn schockieren?«
    Sie zog die Stirn in Falten. »Die Bilder von Toscani. Kennen Sie den?«
    »Den italienischen Fotografen?«
    Sie nickte. »Zur Mailänder Modewoche hat er die ganze Stadt zugepflastert mit seinen Plakaten. Ein magersüchtiges Model, ohne Make-up, ohne Designerfummel, nackt, wie Gott sie schuf. Ein Mädchen in meinem Alter. Sie sah aus wie eine Greisin. Der leibhaftige Tod. Das hat mich schockiert. Das ist vielleicht das einzige Tabu, das es noch gibt. Der Tod. Wir sind ja alle so schön und reich, so jung und geil und so unsterblich.« Sie schlang die Arme um die Schultern. »Und trotzdem beißen wir alle ins Gras. Früher oder später.« Sie beugte sich vor und musterte ihn. »Schockiert?«
    »Wieso sollte ich? Der Tod gehört zu meinem Beruf.«
    Laura legte den Kopf zur Seite. »Schon mal über die eigene Sterblichkeit nachgedacht? Oder dem Tod ins Auge geblickt?«
    »Erst vor ein paar Tagen.« Dühnfort wollte eigentlich nicht daran denken.
    »Wirklich?« Sie setzte sich aufrecht hin. »Und wie war das?«
    »Nicht sehr schön. Es relativiert einiges.« Eine Tochter wie sie hätte er gerne gehabt. Eine, die neugierig war, die provozierte, ihn aus der Reserve lockte, die sich noch empören konnte. Wohin drifteten seine Gedanken? Das Gespräch entglitt ihm. Er räusperte sich und zeigte auf die Fotografien.
    »Franziska hat Ihnen also von diesen Aufnahmen erzählt.«
    Laura nickte und begann, eine Haarsträhne zwischen den Fingern zu zwirbeln.
    »Wissen Sie, unter welchen Umständen sie entstanden sind?«
    »Es war ein Deal. Er hat ihr zweihundert Euro geboten. Franzi hat fünfhundert verlangt. Cash und vorher.«
    »Cash und vorher.« Dühnfort fragte sich, warum ihn das überhaupt überraschte. In irgendeiner Ecke seines Seins schlummerte noch genau die Portion an Naivität, die er sich bewahrt hatte, um diesen Job überhaupt machen zu können. »Heckeroth hat also bezahlt. Fünfhundert. Wann war das?«
    »Am Ende der Sommerferien. Ein paar Tage vor Schulbeginn. Franzi war pleite und wollte sich ein paar Sachen kaufen. Ihre Mutter verdient ja nicht viel.«
    Dühnfort betrachtete die Bilder, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Aber es lief dann nicht so wie vereinbart. Oder?« Eigentlich brauchte er Lauras Bestätigung nicht. Die Aufnahmen sprachen für sich.
    »Anfangs schon, hat Franzi erzählt.« Eine leichte Rötebreitete sich auf Lauras Gesicht aus. Ganz so cool, wie sie tat, war sie also doch nicht. »Es war vereinbart, dass er Aktaufnahmen von ihr macht und dass er sie für eine Aufnahme ans Bett fesseln dürfte. Aber nur die Arme. Daran hat er sich dann nicht gehalten. Franzi konnte sich ja nicht wehren. Er hat ihr einfach … also er hat ihr die Beine auseinandergezerrt und an die Bettpfosten gefesselt … und dann hat er …
alles
fotografiert.« Laura beugte sich vor, schob die Bilder zusammen und drehte sie um.
    »Heckeroth hat also nur Aufnahmen gemacht?«
    »Nur? Das langt doch.«
    »Er hat Franzis wehrlose Situation nicht weiter ausgenutzt?« Etwas in Dühnfort sträubte sich, mit einem achtzehnjährigen Mädchen über Vergewaltigung zu sprechen.
    Laura verzog angewidert den Mund. »Nee, das nicht.«
    »Franzi war sicher wütend. Hat sie etwas gegen Heckeroth unternommen?«
    »Was hätte sie denn tun können? Zur Polizei gehen? Sie hat doch Geld dafür genommen.« Laura zwirbelte die Haarsträhne weiter

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